Ein Teilchen auf zwei Wegen: Die Quantenphysik hat recht

Ein Teilchen auf zwei Wegen: Die Quantenphysik hat recht

Physik-News vom 11.05.2022
 

Ein alter „Schönheitsfehler“ des berühmten Doppelspaltexperiments konnte an der TU Wien in einer Kooperation mit der Hiroshima University nun korrigiert werden: Ein einzelnes Neutron bewegt sich in eindeutig quantifizierbaren Anteilen auf zwei Wegen gleichzeitig.

Das Doppelspaltexperiment ist das berühmteste und gleichzeitig wohl wichtigste Experiment der Quantenphysik: Einzelne Teilchen werden auf eine Wand mit zwei Öffnungen geschossen, dahinter wird gemessen, an welcher Stelle die Teilchen ankommen. Dabei zeigt sich, dass sich die Teilchen nicht auf einem ganz bestimmten Pfad bewegen, wie man das von klassischen Objekten kennt, sondern auf mehreren Pfaden gleichzeitig: Jedes einzelne Teilchen passiert sowohl die linke als auch die rechte Öffnung.


Labor am ILL in Grenoble.

Publikation:


H. Lemell et al.
Quantifying the presence of a neutron in the paths of an interferometer
Phys. Rev. Research 4, 023075 (2022)

Normalerweise kann man das aber nur nachweisen, indem man das Experiment immer und immer wieder durchführt und am Ende die Ergebnisse vieler Teilchendetektionen auswertet. An der TU Wien gelang es nun, eine neue Variante eines solchen Zweiweg-Interferenz-Experiments zu entwickeln und diesen Schönheitsfehler zu beheben: Ein einzelnes Neutron wird an einem bestimmten Punkt gemessen – und aufgrund des ausgeklügelten Messaufbaus ist diese eine Messung bereits der Beweis dafür, dass sich das Teilchen auf zwei verschiedenen Pfaden gleichzeitig bewegt hat. Man kann sogar bestimmen, in welchem Verhältnis es sich auf die beiden Pfade verteilt hatte. Somit kann das Phänomen der Quantensuperposition nachgewiesen werden, ohne auf statistische Argumente zurückgreifen zu müssen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Physical Review Research“ publiziert.

Das Doppelspaltexperiment

„Beim klassischen Doppelspaltexperiment entsteht hinter dem Doppelspalt ein Interferenzmuster“, erklärt Stephan Sponar vom Atominstitut der TU Wien. „Die Teilchen bewegen sich als Welle durch beide Öffnungen gleichzeitig, die beiden Teilwellen überlagern sich danach. An manchen Stellen verstärken sie sich gegenseitig, an anderen Stellen löschen sie sich gegenseitig aus.“

Die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen hinter dem Doppelspalt an einem ganz bestimmten Ort zu messen, hängt von diesem Überlagerungsmuster ab: Wo die Quantenwelle verstärkt wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, das Teilchen zu messen. Wo sich die Quantenwelle auslöscht, ist die Wahrscheinlichkeit gering. Diese Wellenverteilung lässt sich freilich nicht erkennen, wenn man bloß ein einziges Teilchen betrachtet. Erst wenn man das Experiment viele Male wiederholt, wird das Wellenmuster Punkt für Punkt und Teilchen für Teilchen immer besser erkennbar.

„Man erklärt hier also das Verhalten einzelner Teilchen auf Basis von Ergebnissen, die erst durch die statistische Untersuchung vieler Teilchen sichtbar werden“, erklärt Holger Hofmann von der Hiroshima University, der die Theorie hinter dem Experiment entwickelt hat. „Das ist natürlich nicht ganz befriedigend. Wir haben daher überlegt, wie sich das Phänomen der Zweiweg-Interferenz bereits anhand einer einzigen Teilchen-Detektion beweisen lässt.“

Neutronen drehen

Möglich wurde das mit Hilfe von Neutronen, an der Neutronenquelle des ILL in Grenoble: Die Neutronen treffen auf einen Kristall, der die Quantenwelle des Neutrons in zwei Teilwellen aufspaltet, ganz ähnlich wie beim klassischen Doppelspaltexperiment. Die beiden Neutronen-Teilwellen bewegen sich entlang zweier verschiedener Pfade, dann werden sie wieder zusammengeführt. Sie überlagern sich und werden dann gemessen.

Zusätzlich wird aber eine weitere Eigenschaft des Neutrons ausgenutzt: Sein Spin – der Drehimpuls des Teilchens. Er kann durch magnetische Felder beeinflusst werden, der Drehimpuls des Neutrons zeigt dann in eine andere Richtung. Wenn man den Spin des Neutrons nur in einem der beiden Pfade verdreht, lässt sich nachher feststellen, welchen Weg es genommen hat. Allerdings verschwindet dann auch das Interferenzmuster, als Folge der Komplementarität in der Quantenmechanik. „Wir verdrehen den Spin des Neutrons daher nur ein klein wenig“, erklärt Hartmut Lemmel, der Erstautor der aktuellen Publikation. „Dann bleibt das Interferenzmuster bestehen, weil man nur sehr ungenaue Information über den Weg gewinnen kann. Um trotzdem genaue Weginformation zu erhalten, wird diese „schwache“ Messung in herkömmlichen Experimenten einfach sehr oft wiederholt. Man erhält dann aber auch nur eine statistische Aussage über die Gesamtheit der Neutronen und kann wenig über jedes einzelne Neutron aussagen.“

Die Drehung wird umgekehrt

Anders sieht die Sache aus, wenn man nach dem Zusammenführen der beiden Neutronen-Teilwellen ein weiteres Magnetfeld platziert, um den Spin wieder zurückzudrehen. Durch Ausprobieren ermittelt man den Drehwinkel, der notwendig ist, um den Spin des überlagerten Zustands wieder in die ursprüngliche Richtung zurückzudrehen. Die Stärke dieser Drehung ist ein Maß dafür, wie stark das Neutron in den einzelnen Pfaden präsent war. Hätte es nur den Pfad des Spindrehers genommen, wäre der volle Drehwinkel für die Rückdrehung notwendig. Hätte es nur den anderen Pfad genommen, wäre gar keine Rückdrehung notwendig. Im durchgeführten Experiment mit einem speziellen asymmetrischen Strahlteiler zeigte sich, dass die Neutronen zu einem Drittel im einen und zu zwei Dritteln im anderen Pfad präsent waren.

Durch ausführliche Berechnungen konnte das Team zeigen: Man detektiert hier nicht bloß einen Mittelwert über die Gesamtheit aller gemessenen Neutronen, sondern die Aussage gilt für jedes einzelne Neutron. Man braucht zwar viele Neutronen, um den optimalen Drehwinkel zu ermitteln, aber sobald dieser eingestellt ist, gilt die daraus bestimmte Pfadpräsenz für jedes einzelne detektierte Neutron.

„Unsere Messergebnisse decken sich wunderbar mit der klassischen Quantentheorie“, sagt Stephan Sponar. „Das Neue daran ist, dass man nicht auf unbefriedigende statistische Argumente zurückgreifen muss: Unser Experiment zeigt bei der Messung eines einzelnen Teilchens, dass es zwei Wege gleichzeitig genommen haben muss und quantifiziert die jeweiligen Anteile eindeutig.“ Damit lassen sich alternative Interpretationen der Quantenmechanik ausschließen, die versuchen, das Doppelspaltexperiment mit lokalisierten Teilchen zu erklären.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Technischen Universität Wien via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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