Planetenbildende Scheiben entwickeln sich auf überraschend ähnliche Weise

Planetenbildende Scheiben entwickeln sich auf überraschend ähnliche Weise

Physik-News vom 09.05.2022
 

Eine Gruppe von Astronomen und Astronominnen hat die Massenverteilung von über 870 planetenbildenden Scheiben in der Orion A-Wolke analysiert. Durch die Auswertung der statistischen Eigenschaften dieser beispiellos großen Stichprobe von Scheiben und die Entwicklung eines innovativen Datenbearbeitungsverfahrens fanden sie heraus, dass weit entfernt von widrigen Umgebungen wie heißen Sternen der Rückgang der Scheibenmasse nur von ihrem Alter abhängt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich zumindest innerhalb einer Entfernung von bis zu 1000 Lichtjahren planetenbildende Scheiben und Planetensysteme auf ähnliche Weise entwickeln.

Einige der spannendsten Fragen der heutigen astronomischen Forschung lauten: Wie sehen andere Planetensysteme aus? Wie vergleichbar ist das Sonnensystem mit anderen Planetensystemen? Ein Team von Astronomen und Astronominnen hat nun entscheidende Hinweise zur Lösung dieses Rätsels beigetragen. „Bislang wussten wir nicht genau, welche Eigenschaften die Entwicklung von Planetenscheiben um junge Sterne dominieren“, sagt Sierk van Terwisga, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Er ist der Hauptautor des zugrundeliegenden Forschungsartikels, der heute in Astronomy & Astrophysics veröffentlicht wurde. „Unsere neuen Ergebnisse zeigen nun, dass in Umgebungen ohne relevante äußere Einflüsse die beobachtete Scheibenmasse, die für die Bildung neuer Planeten zur Verfügung steht, nur vom Alter des Systems aus Stern und Scheibe abhängt“, ergänzt van Terwisga.


Diese künstlerische Darstellung veranschaulicht, wie planetenbildende Scheiben um junge Sterne oft aussehen. Sie bestehen zunächst aus Staub und Gas, die sich zu Ringen aus dichtem Material verdichten.

Publikation:


S.E. van Terwisga et al.
Survey of Orion Disks with ALMA (SODA). I: Cloud-level demographics of 873 protoplanetary disks
Astronomy & Astrophysics (2022)

DOI: 10.1051/0004-6361/202141913

arxiv.org

Die Scheibenmasse ist die entscheidende Eigenschaft bei der Untersuchung der Entwicklung von planetenbildenden Scheiben. Diese Größe bestimmt, wie viel Material für die Umsetzung in Planeten zur Verfügung steht. Je nach Alter der Scheibe kann sie auch Hinweise auf die dort bereits vorhandenen Planeten geben. Äußere Einflüsse wie Strahlung und Winde von nahen massereichen Sternen wirken sich offensichtlich auf den Fortbestand der Scheiben aus. Solche Umgebungen sind jedoch selten, und diese Prozesse verraten nicht viel über die Scheiben selbst. Stattdessen interessieren sich die Fachleute mehr für die internen Scheibeneigenschaften wie das Alter, die chemische Zusammensetzung oder die Dynamik der Ursprungswolke, aus der die jungen Sterne mit ihren Scheiben hervorgegangen sind.

Um die verschiedenen Beiträge zu entflechten, wählte das Astronomenteam eine große und bekannte Region junger Sterne mit Scheiben aus, die Orion A-Wolke. Sie ist etwa 1350 Lichtjahre von der Erde entfernt. „Orion A lieferte uns eine beispiellos große Stichprobe von mehr als 870 Scheiben um junge Sterne. Dies war entscheidend, um nach kleinen Variationen in der Scheibenmasse in Abhängigkeit vom Alter und sogar von der lokalen Umgebung innerhalb der Wolke suchen zu können“, erklärt Álvaro Hacar, Mitautor und Wissenschaftler an der Universität Wien, Österreich. Die Stichprobe geht auf frühere Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop'>Herschel-Weltraumteleskop zurück, mit denen die Scheiben identifiziert werden konnten. Die Kombination mehrerer Wellenlängen lieferte ein Kriterium zur Schätzung ihres Alters. Da sie alle zur gleichen Wolke gehören, erwarteten die Forschenden nur geringe Einflüsse durch chemische und zeitliche Veränderungen der Wolke. Sie vermieden jeglichen Einfluss von massereichen Sternen im nahe gelegenen Orionnebel-Haufen (ONC), indem sie Scheiben ausschlossen, die weniger als 13 Lichtjahre von ihm entfernt sind.


Dieses Bild zeigt die riesige Sternentstehungswolke Orion A, wie sie vom Instrument SPIRE (Spectral and Photometric Imaging Receiver) an Bord des Weltraumteleskops Herschel beobachtet wurde.

Zur Messung der Scheibenmasse setzte das Team das Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) ein, das sich auf dem Chajnantor Plateau in der chilenischen Atacama-Wüste befindet. ALMA besteht aus 66 Parabolantennen, die wie ein einziges Teleskop mit einer einstellbaren Winkelauflösung funktionieren. Die Wissenschaftler verwendeten einen Beobachtungsmodus, der es ihnen ermöglichte, jede Scheibe bei einer Wellenlänge von etwa 1,2 Millimetern effizient anzupeilen. Die kalten Scheiben sind in diesem Spektralbereich sehr hell. Der Beitrag der Zentralsterne ist dagegen vernachlässigbar. Mit diesem Ansatz konnten die Astronomen die Staubmassen der Scheiben bestimmen. Allerdings sind die Beobachtungen unempfindlich gegenüber Objekten, die viel größer als ein paar Millimeter sind, z. B. Felsbrocken und Planeten. Daher hat das Team tatsächlich die Masse des Scheibenmaterials gemessen, aus dem sich Planeten bilden können.

Vor der Berechnung der Scheibenmassen kombinierten und kalibrierten die Astronomen die Daten von mehreren Dutzend ALMA-Teleskopen. Diese Aufgabe ist bei großen Datensätzen eine ziemliche Herausforderung. Mit Standardverfahren hätte es Monate gedauert, die gesammelten Daten zu prozessieren. Stattdessen entwickelte das Team mit Hilfe von Parallelcomputern eine neue Methode. „Unser neuer Ansatz erhöhte die Verarbeitungsgeschwindigkeit um das 900-fache“, betont Mitautor Raymond Oonk vom kooperierenden IT-Dienstleister SURF. Die 3000 CPU-Stunden, die nötig waren, um die Aufgabe zu erledigen und die Daten für die anschließende Analyse vorzubereiten, vergingen in weniger als einem Tag.

Insgesamt befinden sich in Orion A planetenbildende Scheiben, die jeweils bis zu einigen hundert Erdmassen Staub enthalten. Von den 870 Scheiben enthalten jedoch nur 20 davon Staub von mindestens 100 Erdmassen. Im Allgemeinen nimmt die Zahl der Scheiben zu höheren Massen hin rasch ab, wobei die meisten weniger als 2,2 Erdmassen Staub enthalten. „Um nach Abweichungen zu suchen, haben wir die Orion A-Wolke aufgeteilt und diese Regionen separat untersucht. Dank den Hunderten von Scheiben waren die Teilmengen noch groß genug, um statistisch aussagekräftige Ergebnisse zu liefern“, erklärt van Terwisga.

In der Tat fanden die Wissenschaftler innerhalb von Orion A geringfügige Schwankungen in der Verteilung der Scheibenmassen auf einer Skala von einigen zehn Lichtjahren, die jedoch alle durch einen Alterseffekt erklärt werden können, d. h. innerhalb von einigen Millionen Jahren nehmen die Scheibenmassen tendenziell zu älteren Populationen hin ab. Jedoch haben Gruppen von planetenbildenden Scheiben desselben Alters innerhalb der Fehlertoleranz dieselbe Massenverteilung. Es ist keineswegs überraschend, dass die Staubmasse in Planeten bildenden Scheiben mit der Zeit abnimmt. Schließlich ist Staub eines der Rohmaterialien für Planeten. Die Bildung von Planeten reduziert also zweifellos die Menge an freiem Staub. Andere bekannte Prozesse sind die Staubmigration in Richtung der Scheibenmitte und das Verdampfen von Staub durch die Strahlung des Zentralsterns. Dennoch ist es überraschend, dass eine so starke Korrelation zwischen Scheibenmasse und Alter besteht.

All diese Scheiben sind aus der gleichen Umgebung entstanden, die heute die Orion A-Wolke bildet. Wie verhält sich dies im Vergleich zu anderen jungen Stern-Scheiben-Populationen? Die Astronomen gingen dieser Frage nach, indem sie ihre Ergebnisse mit mehreren nahe gelegenen Sternentstehungsgebieten mit planetenbildenden Scheiben verglichen. Bis auf zwei passen alle gut zu der in Orion A gefundenen Masse-Alter-Beziehung. „Insgesamt sind wir der Ansicht, dass unsere Studie zeigt, dass zumindest innerhalb der nächsten etwa 1000 Lichtjahre alle Gruppierungen von planetenbildenden Scheiben die gleiche Massenverteilung bei einem bestimmten Alter aufweisen. Und sie scheinen sich mehr oder weniger auf die gleiche Weise zu entwickeln“, so van Terwisga abschließend. Das Ergebnis könnte sogar ein Hinweis auf die Entstehung von verblüffend ähnlichen Planetensystemen sein.



Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Astronomie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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