Ein neues Experiment zum Verständnis der Dunklen Materie

Ein neues Experiment zum Verständnis der Dunklen Materie

Physik-News vom 14.06.2018
 

Ist Dunkle Materie Quelle für eine bis jetzt unbekannte Wechselwirkung zusätzlich zur Gravitation? Die geheimnisvolle Dunkle Materie ist zurzeit noch wenig verstanden und der Versuch, ihre Eigenschaften nachzuvollziehen, gehört zu den wichtigsten Herausforderungen der modernen Physik und Astrophysik. Forscher am MPIfR Bonn haben ein neues Experiment vorgeschlagen, um mit Neutronensternen extrem hoher Dichte mehr über die Wechselwirkung Dunkler Materie mit normaler Materie zu erfahren. Dieses Experiment ermöglicht jetzt bereits einen Fortschritt bei der Bestimmung von Eigenschaften der Dunklen Materie, der durch Beobachtungen im Zentrum unserer Milchstraße noch deutlich zu verbessern ist.

Um das Jahr 1600 führten Experimente von Galileo Galilei zu dem Schluss, dass alle Objekte im Gravitationsfeld der Erde unabhängig von ihrer Masse und Zusammensetzung die gleiche Beschleunigung erfahren. Später hat Isaak Newton Pendelexperimente mit unterschiedlichen Materialien durchgeführt und konnte mit einer Genauigkeit von 1:1000 die sogenannte Universalität des freien Falls aufzeigen, dass also alle Körper im freien Fall gleich beschleunigt werden. Erst kürzlich konnte dies mit dem Satellitenexperiment MICROSCOPE sogar mit einer Genauigkeit von 1: 100 Billionen im Gravitationsfeld der Erde bestätigt werden.


Schematisches Bild eines Pulsars im Gravitationsfeld der Milchstraße mit Pfeilen für die Richtung der Anziehungskräfte: normale Materie (gelber Pfeil) und Dunkle Materie (grauer Pfeil).

Publikation:


Lijing Shao, Norbert Wex und Michael Kramer
Testing the universality of free fall towards dark matter with radio pulsars
Physical Review Letters, Vol. 120, Iss. 24

DOI: 10.1103/PhysRevLett.120.241104



Eine solche Art von Experimenten kann allerdings die Universalität des freien Falls nur bzgl. normaler Materie bestätigen, wie z.B. der Erde selbst, deren Zusammensetzung von chemischen Elementen wie Eisen (32%), Sauerstoff (30%), Silizium (15%) und Magnesium (14%) dominiert wird. Auf größeren Skalen allerdings scheint normale Materie nur einen kleinen Anteil der gesamten Materie und Energie im Universum auszumachen.

Es wird angenommen, dass die sogenannte Dunkle Materie rund 80% der gesamten Materie im Universum ausmacht. Bis jetzt konnte Dunkle Materie allerdings noch nicht direkt beobachtet werden. Es gibt nur indirekte Hinweise auf ihre Existenz über unterschiedliche astronomischen Beobachtungen wie die Rotation von Galaxien, die Bewegungen in Galaxienhaufen sowie Gravitationslinsen. Die tatsächliche Natur der Dunklen Materie stellt eine der größten Herausforderungen in der modernen Wissenschaft dar. Viele Physiker nehmen dabei an, dass Dunkle Materie sich aus noch unentdeckten subatomaren Teilchen zusammensetzt.

Aus der bisher unbekannten Zusammensetzung der Dunklen Materie erwächst eine weitere wichtige Frage. Stellt die Gravitation die einzige Wechselwirkung mit großer Reichweite zwischen normaler Materie und Dunkler Materie dar? Anders gesagt, wirkt auf normale Materie nur die von der Dunklen Materie verursachte Krümmung der Raumzeit, oder gibt es noch eine weitere Kraft, die normale Materie in Richtung der Dunklen Materie zieht (oder ggf. sogar abstößt und die Gesamtanziehung zwischen normaler Materie und Dunkler Materie verringert)? Dies würde eine Verletzung der Universalität des freien Falls in Bezug auf Dunkle Materie bedeuten. Eine solche hypothetische Wechselwirkung wird manchmal auch als “fünfte Kraft” bezeichnet, neben den vier bekannten fundamentalen Wechselwirkungen in der Natur (Gravitation, elektromagnetische und schwache Wechselwirkung, starke Wechselwirkung).

Durch eine ganze Reihe von Experimenten gibt es deutliche Einschränkungen für eine solche fünfte Kraft, die durch Dunkle Materie bewirkt wird. Eines der Schlüsselexperimente dazu nutzt die Bahnbewegung des Mondes um die Erde und überprüft sie in Hinblick auf eine anomale Beschleunigung in Richtung des galaktischen Zentrums, d.h. des Zentrums des sphärischen Halos von Dunkler Materie in unserer Milchstraße. Die extrem hohe Genauigkeit dieses Experiments basiert auf dem sogenannten “Lunar Laser Ranging”, wobei der Abstand zum Mond durch die Reflektion von Lasersignalen an Retroreflektoren, die auf der Mondoberfläche installiert sind, auf Zentimeter genau vermessen wird.

Bis heute hat allerdings niemand die Existenz einer solchen fünften Kraft mit Hilfe so exotischer Objekte wie Neutronensternen getestet. „Es gibt gleich zwei Gründe dafür, dass Pulsare in Doppelsternsystemen uns einen völlig neuen Weg zeigen, die Existenz einer solchen fünften Kraft in der Wechselwirkung zwischen normaler Materie und Dunkler Materie zu testen”, sagt Lijing Shao vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), der Erstautor der Veröffentlichung in den “Physical Review Letters”. „Zum einen besteht ein Neutronenstern aus Materie, die nicht im Labor erzeugt werden kann, viele Male dichter als ein Atomkern und nahezu komplett aus Neutronen aufgebaut. Und zum anderen ist es das gewaltige Gravitationsfeld im Inneren des Neutronensterns, Milliarden mal stärker als das der Sonne, das prinzipiell eine deutliche Verstärkung der Wechselwirkung mit der Dunklen Materie bewirken könnte.”

Die Umlaufbahn eines Binärpulsars kann über die Messung der Ankunftszeit der Pulsarsignale mit Radioteleskopen mit extrem hoher Genauigkeit vermessen werden. Für einige Pulsare wird dabei eine Genauigkeit von unter 100 Nanosekunden erreicht; das entspricht einer Bestimmung der Pulsarumlaufbahn mit einer Genauigkeit von unter 30 Metern!

Um die Universalität des freien Falls in Bezug auf Dunkle Materie zu überprüfen, hat das Forscherteam einen hervorragend geeigneten Pulsar in einem Doppelsternsystem herausgesucht, der die Katalogbezeichnung PSR J1713+0747 trägt und rund 3800 Lichtjahre von der Erde entfernt liegt. Es handelt sich dabei um einen Millisekundenpulsar mit einer Rotationsperiode von nur 4,6 Millisekunden, dazu mit einer der am stabilsten eingehaltenen Rotationsperioden unter allen bisher bekannten Pulsaren. Der Pulsar befindet sich in einer nahezu kreisförmigen Umlaufbahn von 68 Tagen Dauer mit einem Weißen Zwerg als Begleiter.

Während Pulsarastronomen normalerweise an sehr kompakten Doppelsternsystemen mit schneller Orbitalbewegung interessiert sind, um damit den Gültigkeitsbereich der allgemeinen Relativitätstheorie zu testen, haben die Forscher im vorliegenden Fall genau nach dem Gegenteil, nämlich einem sich langsam bewegenden Millisekundenpulsar in einer weiten Umlaufbahn, gesucht. Je größer die Umlaufbahn, desto empfindlicher reagiert das System auf eine Verletzung der Universalität des freien Falls. Wenn der Pulsar im Vergleich zum Weißen Zwerg im gemeinsamen Orbit eine unterschiedliche Beschleunigung im Hinblick auf Dunkle Materie erfährt, sollte sich mit der Zeit eine Deformation in der Umlaufbahn und damit eine Änderung der Exzentrizität ergeben.

„Wir haben über 20 Jahre hochpräziser Timingbeobachtungen für dieses System, sowohl mit Effelsberg und anderen Radioteleskopen im “European Pulsar Timing Array” wie auch mit dem nordamerikanischen NANOGrav-Pulsar-Timing-Projekt und sie zeigen mit hoher Genauigkeit, dass es keine Änderung in der Exzentrizität der Umlaufbahn gibt”, erklärt Norbert Wex, ebenfalls vom MPIfR. „Wir sehen also mit großer Deutlichkeit, dass der Neutronenstern die gleiche Art von Anziehung in Bezug auf Dunkle Materie spürt wie in Bezug auf normale Materie.”

„Um diese Tests noch zu verbessern, sind wir weiterhin auf der Suche nach geeigneten Pulsaren in Bereichen, in denen wir große Ansammlungen von Dunkler Materie erwarten”, sagt Michael Kramer, Direktor am MPIfR und Leiter der Forschungsabteilung “Radioastronomische Fundamentalphysik”. „Der ideale Ort dafür ist das Zentrum unserer Milchstraße, wo wir Beobachtungen mit dem 100-m-Teleskop und weiteren Radioteleskopen der Welt im Rahmen unseres “BlackHoleCam”-Projekts durchführen. Mit dem zukünftigen “Square Kilometre-Array-Teleskop” sollten schließlich superpräzise Tests möglich werden”.


Diese Newsmeldung wurde mit Material idw erstellt


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