Unsterbliche Quantenteilchen: Der Zyklus von Zerfall und Wiedergeburt

Unsterbliche Quantenteilchen: Der Zyklus von Zerfall und Wiedergeburt

Physik-News vom 14.06.2019
 

In der makroskopischen Welt ist der Zerfall unerbittlich: Zerbrochene Gegenstände fügen sich nicht von selbst wieder zusammen. In der Quantenwelt gelten jedoch andere Gesetze: Neue Forschungen zeigen, dass sogenannte Quasiteilchen zerfallen und sich wieder reorganisieren können und damit gewissermaßen unsterblich sind. Gute Aussichten für die Entwicklung haltbarer Datenspeicher.

Nichts hält ewig, sagt der Volksmund. Die Gesetze der Physik bestätigen dies: Alle Prozesse auf unserem Planeten vergrößern die Entropie, also die molekulare Unordnung. Ein zerbrochenes Glas beispielsweise würde sich niemals von selbst wieder zusammenfügen.


Starke Quantenwechselwirkungen verhindern den Zerfall von Quasiteilchen.

Publikation:


Ruben Verresen, Roderich Moessner & Frank Pollmann
Avoided quasiparticle decay from strong quantum interactions
Nature Physics, 27. Mai 2019

DOI: 10.1038/s41567-019-0535-3



Was in der Alltagswelt undenkbar erscheint, ist auf mikroskopischer Ebene möglich, das haben Theoretische Physiker der Technischen Universität München (TUM) und des Max-Planck Instituts für die Physik komplexer Systeme herausgefunden.

„Bisher ist man davon ausgegangen, dass Quasiteilchen in wechselwirkenden Quantensystemen nach einer gewissen Zeit zerfallen. Jetzt wissen wir, dass das Gegenteil der Fall ist: Starke Wechselwirkungen können den Zerfall sogar komplett stoppen“, erklärt Frank Pollmann, Professor für Theoretische Festkörperphysik der TUM. Ein Beispiel für solche Quasiteilchen sind kollektive Gitterschwingungen in Kristallen, sogenannte Phononen.

Den Begriff des Quasiteilchens prägte der Physiker und Nobelpreisträger Lew Dawidowitsch Landau. Er beschrieb damit kollektive Zustände von vielen Teilchen, beziehungsweise deren Wechselwirkungen durch elektrische oder magnetische Kräfte. Durch diese Interaktion verhalten sich mehrere Teilchen wie ein einzelnes.

Numerische Methoden eröffnen neue Perspektiven

„Welche Prozesse das Schicksal dieser Quasiteilchen in wechselwirkenden Systemen im Detail beeinflussen, war bisher allerdings nicht bekannt“, berichtet Pollmann. „Erst jetzt verfügen wir über numerische Methoden, mit denen wir komplexe Wechselwirkungen berechnen können und außerdem über Computer, die leistungsfähig genug sind, diese Gleichungen zu lösen.“

„Das Ergebnis der aufwendigen Simulation: Quasiteilchen zerfallen zwar, aus den Bruchstücken entstehen aber neue, identische Teilchengebilde“, sagt Erstautor Ruben Verresen. „Wenn dieser Zerfall sehr schnell abläuft, kommt es nach einer gewissen Zeit zu einer Umkehrung der Reaktion, und die Trümmer finden sich wieder zusammen. Dieser Prozess kann sich unendlich wiederholen, es entsteht eine anhaltende Schwingung zwischen Zerfall und Wiedergeburt.“

Diese Schwingung ist physikalisch betrachtet eine Welle, die in Materie umgewandelt wird – was gemäß dem quantenmechanischen Teilchen-Dualismus'>Welle-Teilchen-Dualismus möglich ist. Damit verstoßen die unsterblichen Quasiteilchen auch nicht gegen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Ihre Entropie bleibt konstant, der Zerfall ist gestoppt.

Der Realitäts-Check

Die Entdeckung erklärt auch Phänomene, die bisher rätselhaft waren. Experimentalphysiker hatten gemessen, dass die magnetische Verbindung Ba3CoSB2O9 erstaunlich stabil ist. Magnetische Quasiteilchen, die Magnonen, sind dafür verantwortlich. Andere Quasiteilchen, die Rotonen, sorgen dafür, dass Helium, an der Erdoberfläche ein Gas, am absoluten Nullpunkt eine Flüssigkeit wird, die widerstandslos fließen kann.

„Unsere Arbeit ist reine Grundlagenforschung“, betont Pollmann. Es sei aber gut möglich, dass die Ergebnisse eines Tages auch Anwendungen erlauben – beispielsweise den Bau langlebiger Datenspeicher für zukünftige Quantencomputer.

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Mehr Informationen

Die Forschungsarbeiten wurden gefördert durch das European Research Council (ERC) und die Deutsche Forschungsgesellschaft DFG im Rahmen des SFB 1143, der Research Unit FOR1807 sowie durch den Exzellenzcluster Nanosystems Initiative Munich (NIM). Die Arbeiten werden im neuen Exzellenzcluster Munich Center for Quantum Science and Technology (MCQST) fortgeführt.


Diese Newsmeldung wurde mit Material idw erstellt


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