Starre Bindungen für neue Smartphone-Datenspeicher

Starre Bindungen für neue Smartphone-Datenspeicher

Physik-News vom 14.06.2019
 

Experimente am Röntgenlaser zeigen, wie die Datenspeicherung mit neuen Phasenwechselmaterialien noch besser und effizienter werden könnte.

Mit Hilfe von Phasenwechselmaterialien erreicht die neueste Generation von Smartphones höhere Speicherdichten und Energieeffizienz. Ein Wärmepuls ermöglicht es zwischen glasartigem und kristallinem Materialzustand umzuschalten und so Daten zu schreiben. Bisher war jedoch nicht bekannt, was während dieses Prozesses auf atomarer Ebene geschieht. In einem heute in der Zeitschrift Science veröffentlichten Artikel beschreibt eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung von Forschern von European XFEL und der Universität Duisburg-Essen, wie sie den Röntgen-Freie-Elektronen-Lasers LCLS am SLAC National Accelerator Laboratory in Kalifornien genutzt haben, um zu zeigen, dass ein Wechsel des chemischen Bindungsmechanismus die Datenspeicherung in diesen Materialien ermöglicht. Die Ergebnisse können genutzt werden, um Phasenwechselmaterialien für schnellere und effektivere Datenspeichertechnologien zu optimieren. Sie liefern auch neue Erkenntnisse über den Prozess der Glasbildung.


European XFEL beam.

Publikation:


Peter Zalden et al.
Femtosecond x-ray diffraction reveals a liquid–liquid phase transition in phase-change materials
Science 14 Jun 2019: Vol. 364, Issue 6445, pp. 1062-1067

DOI: 10.1126/science.aaw1773



Phasenwechselmaterialien aus den Elementen Antimon, Tellur und Germanium ermöglichen es, immer größere Datenmengen schnell und energieeffizient zu speichern. Sie werden beispielsweise als Ersatz für Flash-Laufwerke in Smartphones der neuesten Generation eingesetzt. Wenn ein elektrischer oder optischer Impuls diese Materialien lokal erwärmt, wechseln sie von einem glasartigen in einen kristallinen Zustand - und umgekehrt. Diese beiden verschiedenen Zustände entsprechen der '0' und '1' des Binärcodes. Wie genau sich diese Zustände auf atomarer Ebene ändern konnte jedoch bisher nicht geklärt werden.


The European XFEL beam in the FXE hutch.

In einem Experiment am Röntgenlaser LCLS in Kalifornien verwendete eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung von Forschern des European XFEL und der Universität Duisburg-Essen Femtosekunden-Röntgenbeugung, um die atomaren Veränderungen zu untersuchen. In dem Experiment, das vor der Inbetriebnahme des European XFEL stattfand, verwendeten die Forscherinnen und Forscher einen optischen Laser, um zwischen kristallinem und glasartigem Zustand zu wechseln. Während dieses extrem schnellen Prozesses nahmen sie mit dem Röntgenlaser Bilder der Atomstruktur auf. Nur Röntgenlaser wie LCLS oder European XFEL erzeugen Pulse, die kurz und intensiv genug sind, um Momentaufnahmen der in solch kurzen Zeitfenstern auftretenden atomaren Veränderungen zu machen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sammelten dabei über 10.000 Bilder vom Ablauf des Prozesses.

Um Informationen mit Phasenwechselmaterialien zu speichern, müssen sie schnell abgekühlt werden, so dass sie in einen glasartigen Zustand gelangen, ohne zu kristallisieren. Sie müssen dann so lange in diesem Zustand bleiben, wie die Daten gespeichert werden sollen. Der Kristallisationsprozess muss also so langsam ablaufen, dass er fast gar nicht mehr stattfindet, wie es bei gewöhnlichem Glas der Fall ist. Bei hohen Temperaturen hingegen muss das gleiche Material in der Lage sein, sehr schnell zu kristallisieren, um die Informationen zu löschen. Der Mechanismus, mit dem ein Material ein stabiles Glas bilden kann, gleichzeitig aber bei erhöhten Temperaturen sehr instabil wird, beschäftigt Forscher seit Jahrzehnten.

In ihrem Experiment untersuchten die Forscher den schnellen Abkühlprozess, bei dem ein Glas entsteht. Sie fanden heraus, dass sich die Flüssigkeit strukturell verändert und eine andere Tieftemperaturflüssigkeit bildet, wenn sie ausreichend weit unter die Schmelztemperatur abgekühlt wird. Die Tieftemperaturflüssigkeit kann nur in sehr kurzen Zeitfenstern beobachtet werden, bevor die Kristallisation einsetzt. Die beiden Flüssigkeiten waren auf atomarer Ebene nicht nur sehr verschieden, sondern verhielten sich auch sehr unterschiedlich: Bei hoher Temperatur sind die Atome in der Flüssigkeit sehr mobil, so dass sie sich leicht in einer gut geordneten Struktur anordnen, also kristallisieren können. Wenn die Flüssigkeit jedoch unter eine bestimmte Temperatur unterhalb des Schmelzpunktes abkühlt, werden einige chemische Bindungen härter und starrer und können die ungeordnete atomare Struktur des Glases stabilisieren. Unterstützt wurden diese Beobachtungen durch Computersimulationen am Cluster der RWTH Aachen. Die Simulationen lieferten auch weitere Details zu den unterschiedlichen atomaren Strukturen der beiden Flüssigkeiten und zeigten, dass die Hochtemperaturflüssigkeit metallischer ist als die Tieftemperaturflüssigkeit – im Zusammenhang mit der Bildung starrerer Bindungen. Erst die Starrheit dieser chemischen Bindungen verhindert die Umwandlung und sichert – im Falle von Phasenwechselspeichern – die vorhandenen Informationen.

Peter Zalden, Wissenschaftler am European XFEL und Erstautor der Studie, erklärt: „Die Datenspeichertechnologie hat eine Skalierungsgrenze erreicht. Wir brauchen neue Konzepte, um die Datenmengen zu speichern, die wir in Zukunft produzieren werden. Unsere Studie zeigt, wie der Umschaltvorgang mit einer vielversprechenden neuen, auf Glasbildung basierenden Technologie schnell und zuverlässig zugleich sein kann."

Camera and editing: Frank Poppe
Photography: Jan Hosan
Music: https://audeeyah.de (GEMA-free)

Klaus Sokolowski-Tinten von der Universität Duisburg-Essen, der Initiator des Projekts, ergänzt: “Die Ergebnisse und unsere zeitaufgelöste Technik können auch dabei helfen zu verstehen, wie sich Flüssigkeiten und andere Materialsysteme verhalten, wenn sie schnell abgeschreckt werden zu Temperaturen weit unterhalb des Schmelzpunktes und dort ein Glas bilden. Noch in diesem Jahr werden wir ähnliche Experimente an anderen Strahlquellen durchführen - einschließlich European XFEL - an denen die Pulse kurz und intensiv genug sind um Momentaufnahmen dieses schnellen Prozesses aufzunehmen.”

Die vom European XFEL und der Universität Duisburg-Essen koordinierte Studie war Teil einer internationalen Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich, des Instituts Laue-Langevin, des Lawrence Livermore National Laboratory, der Lund University, des Paul Scherrer Instituts, des SLAC National Accelerator Laboratory, der Stanford University, des Spanish National Research Council (CSIC), der RWTH Aachen und der Universität Potsdam.

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Über European XFEL

European XFEL ist eine internationale Forschungsanlage der Superlative in der Metropolregion Hamburg: 27.000 Röntgenlaserblitze pro Sekunde und eine Leuchtstärke, die milliardenfach höher ist als die der besten Röntgenstrahlungsquellen herkömmlicher Art eröffnen völlig neue Forschungsmöglichkeiten. Forschergruppen aus aller Welt können an dem europäischen Röntgenlaser atomare Details von Viren und Zellen entschlüsseln, dreidimensionale Aufnahmen im Nanokosmos machen, chemische Reaktionen filmen und Vorgänge wie die im Inneren von Planeten untersuchen. European XFEL ist eine gemeinnützige Forschungsorganisation, die eng mit dem Forschungszentrum DESY und weiteren internationalen Institutionen zusammenarbeitet. Sie beschäftigt mehr als 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im September 2017 hat die Anlage den Nutzerbetrieb aufgenommen. Mit Kosten von 1,25 Milliarden Euro (Preisniveau 2005) für Bau und Inbetriebnahme und einer Länge von 3,4 Kilometern ist European XFEL eine der größten und ambitioniertesten neuen europäischen Forschungseinrichtungen. Derzeit beteiligen sich zwölf Länder: Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Russland, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Spanien, Ungarn und das Vereinigte Königreich. Deutschland (Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein) trägt 57 Prozent der Kosten für die Einrichtung, Russland 26 Prozent. Die anderen Partnerländer sind mit ein bis drei Prozent beteiligt

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Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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