Wie sich Ionen ihre Elektronen zurückholen

Wie sich Ionen ihre Elektronen zurückholen

Physik-News vom 16.08.2021
 

Was passiert, wenn Ionen durch feste Materialien geschossen werden? Direkt beobachten lässt sich das nicht, doch an der TU Wien fand man einen Weg, das trotzdem zu untersuchen.

Die atomaren Zustände, die in den Labors der TU Wien erzeugt werden, sind sehr außergewöhnlich und spielen für die Forschung eine wichtige Rolle. Es handelt sich um hochgeladene Ionen, also um Atome, die extrem stark elektrisch geladen sind, weil ihnen nicht nur ein Elektron weggenommen wurde, sondern viele – etwa 20 bis 40. Schon lange wird untersucht, was passiert, wenn solche hochgeladenen Ionen auf feste Materialien treffen. Das spielt für viele wichtige Anwendungsbereiche in der Materialforschung eine Rolle. Entscheidend ist dabei, wie sich der Ladungszustand der Ionen beim Durchdringen eines Materials verändert – gerade das konnte bisher aber nicht direkt beobachtet werden. Nun zeigen Messungen an der TU Wien: Die Ionen gehorchen dabei bemerkenswert einfachen Gesetzen.


Anna Niggas (Mitte vorne) und TU Wien-Co-Autor_innen der Studie v.l.n.r.: Dominik Eder, Benjamin Wöckinger, Richard A. Wilhelm, Anna Niggas, Friedrich Aumayr, Janine Schwestka, Bernhard C. Bayer und Tushar Gupta.

Publikation:


A. Niggas et al.
Peeling graphite layer by layer reveals the charge exchange dynamics of ions inside a solid
Communications Physics (2021)

DOI: 10.1038/s42005-021-00686-1



Atomschicht für Atomschicht

Wenn hochgeladene Ionen ein festes Material durchdringen, dann können sie sich die fehlenden Elektronen aus dem Material zurückholen und so elektrisch neutral werden. Wie, wo und auf welche Weise das genau passiert, ist aber schwer zu untersuchen – eben weil es im Inneren des Materials passiert. „Wir wussten, dass dieser Prozess sehr schnell sein muss, weil schon eine recht dünne Materialschicht genügt, um Ionen vollständig zu neutralisieren“, sagt Anna Niggas, Erstautorin der aktuellen Studie. Sie arbeitet derzeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Richard Wilhelm am Institut für Angewandte Physik der TU Wien an ihrer Dissertation.

Den Prozessen dabei direkt zusehen, kann man freilich nicht. Doch neuartige 2D-Materialien wie Graphen, das nur aus einer einzigen Schicht von Kohlenstoffatomen besteht, eröffnen nun erstmals eine Möglichkeit, den Fragestellungen auf den Grund zu gehen: „Graphenschichten kann man aufeinanderstapeln, sodass immer dickere Schichten entstehen – man kann einen Festkörper quasi schichtweise zusammenbauen“, sagt Richard Wilhelm. „Wir haben einzelne, doppelte und dreifache Graphenschichten untersucht. So kann man Schritt für Schritt, Atomlage für Atomlage sehen, wie sich die hochgeladenen Ionen genau verändern.“ Auf diese Weise kann man einen Übergang studieren, von der einzelnen Atomschicht bis zum gewöhnlichen dreidimensionalen Material. Graphit, das Material, aus dem Bleistiftminen bestehen, ist nichts anderes als eine große Zahl aufeinandergestapelter Graphenschichten.


Hochgeladene Ionen werden durch Kohlenstoffschichten geschossen.

Auf die Verweildauer kommt es an

Die Ionen wurden bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten durch die unterschiedlich dicken Kohlenstoffschichten geschossen. Dabei zeigte sich: Entscheidend ist, wie viel Zeit das Projektil in unmittelbarer Nähe der Atomschichten verbringt. „Wenn man berücksichtigt, dass die Ionen auf ihrer Reise durch zwei oder drei Graphenschichten eben zwei- oder dreimal so lange mit Kohlenstoffatomen in Kontakt kommen wie in einer einzigen Graphen-Schicht, dann lässt sich mit einfachen Formeln erklären, wie rasch die Ionen Elektronen einfangen und ihren Ladungszustand ändern“, erklärt Anna Niggas. „Mit unseren Ergebnissen können wir nun erstmals berechnen, wie viele Atomlagen man – je nach Geschwindigkeit und anfänglichem Ladungszustand der Ionen – benötigt, bis die Ionen elektrisch neutral sind.“

Dynamik mit großer Bedeutung

Um die Dynamik des Ladungseinfangs auf diese Weise zu untersuchen, muss man die Proben zunächst ganz besonders sorgfältig vorbereiten. Dr. Bernhard C. Bayer vom Institut für Materialchemie der TU Wien gelang es mittels hochauflösender Mikroskopie, die Atomlagen genau zu charakterisieren – eine große Herausforderung, wenn aufgrund der extrem geringen Schichtdicke nur sehr wenig Material für die Untersuchung zur Verfügung steht.

Die neuen Erkenntnisse sind für viele Forschungsbereiche wichtig: Einerseits lassen sich auf diese Weise ganz grundlegende Phänomene studieren, die mit anderen Methoden schwer zugänglich sind. Andererseits ist die Wechselwirkung zwischen Ionen und festen Materialien auch für ganz praktische Anwendungen von Bedeutung – etwa in der Materialanalytik, wo man Ionen verwendet, um die Eigenschaften neuartiger Werkstoffe sehr genau zu untersuchen oder in der Halbleitertechnologie, wo Ionenstrahlen verwendet werden, um Schaltkreise zu strukturieren.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Technischen Universität Wien via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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