Neues Quantenmaterial entdeckt

Neues Quantenmaterial entdeckt

Physik-News vom 25.05.2021
 

Auf eine überraschende Form von „Quantenkritikalität“ stieß ein Forschungsteam der TU Wien gemeinsam mit US-Forschungsinstituten. Das könnte zu einem Design-Konzept für neue Materialien führen.

Im Alltag haben Phasenübergänge meist mit Temperaturänderung zu tun – etwa wenn ein Eiswürfel wärmer wird und schmilzt. Aber auch andere Phasenübergänge sind möglich, etwa bei einer Änderung des Magnetfelds. Wenn man die Quanten-Eigenschaften von Materialien verstehen möchte, sind Phasenübergänge besonders interessant, wenn sie sich direkt am absoluten Temperaturnullpunkt ereignen, man spricht dann von einem „Quanten-Phasenübergang“ oder einem „quantenkritischen Punkt“.


Ein ganz besonderes Material: CeRu4Sn6

Publikation:


W. Fuhrman et al.
Pristine quantum criticality in a Kondo semimetal
Science Advances 7, 21, eabf9134

DOI: 10.1126/sciadv.abf9134



Ein solcher quantenkritischer Punkt ist nun von einem österreichisch-amerikanischen Forschungsteam bei einem neuartigen Material entdeckt worden, und zwar in ungewöhnlich klarer Ausprägung. Die Eigenschaften dieses Materials werden nun weiter untersucht. Man vermutet, dass es sich hier um ein sogenanntes Weyl-Kondo-Halbmetall handeln könnte, dem aufgrund besonderer Quantenzustände (sogenannter topologischer Zustände) großes Potential für die Quantentechnologie beigemessen wird. Sollte sich das bewahrheiten, wäre ein Schlüssel für die gezielte Entwicklung topologischer Quantenmaterialien gefunden. Die Forschungsarbeit entstand in einer Kooperation der TU Wien mit der Johns Hopkins University, des National Institute of Standards and Technology (NIST) und der Rice University (alle USA) und wurde nun im Fachjournal „Science Advances“ publiziert.

Quantenkritikalität - einfacher und schöner als je zuvor

„Meist untersucht man quantenkritisches Verhalten in Metallen oder Isolatoren. Wir haben uns nun aber ein Halbmetall angesehen“, sagt Prof. Silke Bühler-Paschen vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien. Es handelt sich um eine Verbindung aus Cer, Ruthenium und Zinn – mit Eigenschaften, die zwischen den Eigenschaften von Metallen und Nichtmetallen liegen.

Meistens kann man Quantenkritikalität nur unter ganz bestimmten künstlich erzeugten Umgebungsbedingungen herstellen, etwa bei einem ganz bestimmten Druck oder bei bestimmten elektromagnetischen Feldern. „Überraschenderweise zeigte sich aber, dass unser Halbmetall ganz ohne Einwirken externer Einflüsse quantenkritisch ist“, sagt Wesley Fuhrman, Doktorand im Team von Prof. Collin Broholm an der Johns Hopkins Universität, der mit Neutronenstreumessungen einen wichtigen Beitrag zum Ergebnis lieferte. „Normalerweise muss man hart arbeiten, um die passenden Laborbedingungen zu erzeugen, doch dieses Halbmetall liefert die Quantenkritikalität ganz von selbst.“

Dieses überraschende Ergebnis dürfte damit zusammenhängen, dass das Verhalten der Elektronen in diesem Material einige Besonderheiten aufweist. „Es handelt sich um ein hochkorreliertes Elektronensystem. Das bedeutet, dass die Elektronen stark miteinander interagieren, und dass man ihr Verhalten nicht erklären kann, indem man die Elektronen einzeln betrachtet“, sagt Bühler-Paschen. „Diese Elektronen-Wechselwirkung führt zum sogenannten Kondo-Effekt. Dabei wird ein Quantenspin im Material von Elektronen ringsherum abgeschirmt, sodass der Spin auf den Rest des Materials keine Auswirkungen mehr hat."

Wenn nur wenige freie Elektronen vorhanden sind, wie das eben in einem Halbmetall der Fall ist, dann ist der Kondo-Effekt unstabil and dies könnte der Grund für das quantenkritische Verhalten sein: das System fluktuiert zwischen einem Zustand mit und einem ohne Kondo-Effekt, und das wirkt sich wie ein Phasenübergang bei Temperatur null aus.

Quantenfluktuationen könnten zu Weyl-Teilchen führen

Der Hauptgrund, warum das Ergebnis für das Forschungsteam von so zentraler Bedeutung ist, liegt in der vermuteten engen Verbindung zum Phänomen der „Weyl-Fermionen“. Bei Weyl-Fermionen in Festkörpern handelt es sich um Quasiteilchen – also keine Teilchen im üblichen Sinn, wie Elektronen oder Protonen, sondern Anregungen des Systems, die sich mathematisch aber wie Teilchen beschreiben lassen. Wenn sich solche Weyl-Fermionen durch den Festkörper bewegen, dann bewegen sich also keine Materieteilchen, sondern eine „Eigenschaft“ dieser Teilchen – vergleichbar mit einer Wasserwelle, die sich quer über einen Teich bewegen kann, ohne dass sich einzelne Wassermoleküle von einer Seite des Teichs auf die andere bewegen.

„Laut theoretischen Vorhersagen sollten in diesem Material solche Weyl-Fermionen existieren“, sagt der theoretische Quantenphysiker Qimiao Si der Rice University. Der experimentelle Beweis steht allerdings noch aus. „Wir vermuten, dass die Quantenkritikalität, die wir beobachtet haben, das Auftreten solcher Weyl-Fermionen begünstigt“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Quantenkritische Fluktuationen könnten also eine stabilisierende Wirkung auf Weyl-Fermionen haben, auf ähnliche Weise wie quantenkritische Fluktuationen in Hochtemperatur-Supraleitern die supraleitenden Cooper-Paare zusammenhalten. Das ist eine ganz fundamentale Frage, an der weltweit viel geforscht wird, und wir haben hier eine heiße neue Spur entdeckt.“

Die Hoffnung ist also, dass bestimmte Quanteneffekte – nämlich quantenkritische Fluktuationen, der Kondo-Effekt und Weyl-Fermionen – im neuentdeckten Material eng miteinander verwoben sind und zusammen exotische Weyl-Kondo-Zustände ergeben. Dies sind „topologische“ Zustände von besonders großer Stabilität, die im Gegensatz zu anderen Quantenzuständen durch Störungen von außen nicht so leicht zerstört werden können. Das macht sie besonders interessant für Quantencomputer.

Um all das zu überprüfen sollen weitere Messungen unter unterschiedlichen äußeren Bedingungen durchgeführt werden. Das Team geht davon aus, dass ein ähnliches Zusammenspiel der verschiedenen Quanteneffekte auch in anderen Materialien zu finden sein müsste. „Das könnte zur Etablierung eines Design-Konzepts führen, mit dem man solche Materialien gezielt verbessern, maßschneidern und für konkrete Anwendungen nutzen kann“, sagt Bühler-Paschen.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Technischen Universität Wien via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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