Neue mathematische Formeln für ein altes Problem der Astronomie

Neue mathematische Formeln für ein altes Problem der Astronomie

Physik-News vom 30.08.2021
 

Dem Berner Astrophysiker Kevin Heng ist ein seltenes Kunststück gelungen: Auf Papier hat er für ein altes mathematisches Problem neue Formeln entwickelt, die nötig sind, um Lichtreflektionen von Planeten und Monden berechnen zu können. Nun lassen sich auf einfache Weise Daten interpretieren, um etwa Planetenatmosphären zu beschreiben. Die neuen Formeln werden sehrwahrscheinlich in zukünftige Lehrbücher eingehen.

Seit Jahrtausenden beobachtet die Menschheit die wechselnden Phasen des Mondes. Dabei handelt es sich um das Sonnenlicht, das vom Mond reflektiert wird, während er uns seine verschiedenen «Gesichter» zeigt. Diese Wechsel werden als «Phasenkurve» bezeichnet. Die Messung der Phasenkurven des Mondes und der Planeten des Sonnensystems ist ein alter Zweig der Astronomie, der mindestens ein Jahrhundert zurückreicht. Die Formen der Phasenkurven liefern unter anderem Informationen über die Oberflächen und Atmosphären dieser Himmelskörper, und in der Neuzeit werden die Phasenkurven von Exoplaneten mit Weltraumteleskopen wie Hubble, Spitzer, TESS und CHEOPS gemessen. Diese Beobachtungen werden jeweils mit den theoretischen Vorhersagen abgeglichen. Für diesen Abgleich braucht man eine Möglichkeit, die Phasenkurven zu berechnen, was bedeutet, dass ein schwieriges mathematisches Problem gelöst werden muss.


Prof. Dr. Kevin Heng Center for Space and Habitability (CSH), Universität Bern

Publikation:


Heng, K., Morris, B.M., & Kitzmann, D.
Closed-formed solutions of geometric albedos and phase curves of exoplanets for any reflection law
Nature Astronomy

DOI: 10.1038/s41550-021-01444-7



Lösungsansätze zur Berechnung von Phasenkurven gibt es bereits seit dem 18. Jahrhundert. Der älteste bekannte Lösungsansatz geht auf den Schweizer Mathematiker, Physiker und Astronomen Johann Heinrich Lambert zurück, der das sogenannte «Lambertsche Reflexionsgesetz» verfasste. Das Problem der Berechnung des von den Planeten des Sonnensystems reflektierten Lichts wurde auch vom amerikanischen Astronomen Henry Norris Russell in einer einflussreichen Arbeit von 1916 aufgeworfen. Ein weiterer bekannter Ansatz aus dem Jahr 1981 stammt vom amerikanischen Mondforscher Bruce Hapke, der auf die klassische Arbeit des indisch-amerikanischen Nobelpreisträgers Subrahmanyan Chandrasekhar aus dem Jahr 1960 aufbaute. Der sowjetische Physiker Viktor Sobolev leistete in seinem einflussreichen Lehrbuch von 1975 ebenfalls wichtige Beiträge zur Untersuchung des reflektierten Lichts von Himmelskörpern.

Inspiriert von der Arbeit dieser Wissenschaftler hat der theoretische Astrophysiker Kevin Heng vom Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern eine ganze Familie neuer mathematischer Formeln zur Berechnung von Phasenkurven entdeckt. Die Studie, die Kevin Heng in Zusammenarbeit mit Brett Morris vom Nationalen Forschungsschwerpunkt PlanetS, den die Universität Bern gemeinsam mit der Universität Genf leitet, und Daniel Kitzmann vom CSH, verfasst hat, wurde soeben in Nature Astronomy veröffentlicht.

Allgemein anwendbare Formeln

«Ich hatte das Glück, dass bereits umfangreiche Arbeiten von diesen grossen Wissenschaftlern geleistet worden waren. Hapke hatte einen einfacheren Weg entdeckt, die klassische Lösung von Chandrasekhar aufzuschreiben, und Sobolev hatte erkannt, dass man das Problem in mindestens zwei mathematischen Koordinatensystemen untersuchen kann.»

Auf das Problem aufmerksam wurde Heng ursprünglich durch eine Zusammenfassung von Sara Seager in ihrem Lehrbuch von 2010. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse konnte Heng die mathematischen Formeln für die Stärke der Reflexion (auch Albedo genannt) und die Form der Phasenkurve niederschreiben, und zwar komplett auf Papier und ohne einen Computer zu benutzen. «Das Bahnbrechende an diesen Lösungen ist, dass sie für jedes Reflexionsgesetz gelten, also sehr allgemein anwendbar sind. Der entscheidende Moment kam für mich, als ich diese Stift-und-Papier-Berechnungen mit dem verglich, was andere Forschende mit Computerberechnungen erreicht hatten. Ich war verblüfft, wie gut sie übereinstimmten», sagt Heng.



Neue Möglichkeiten für die Analyse von Daten von Weltraumteleskopen

«Die Möglichkeit, mathematische Lösungen für Phasenkurven von reflektiertem Licht auf Papier zu bringen, bedeutet, dass man damit Daten in Sekundenschnelle analysieren kann», so Heng. Die Formeln eröffnen also neue Wege der Dateninterpretation. Heng arbeitet zusammen mit Pierre Auclair-Desrotour (ehemals CSH, derzeit am Observatorium'>Pariser Observatorium) an der weiteren Verallgemeinerung der Formeln. «Pierre Auclair-Desrotour ist ein talentierterer angewandter Mathematiker als ich, und wir werden in naher Zukunft weitere spannende Ergebnisse veröffentlichen», so Heng.




In der Studie in Nature Astronomy demonstrierten Heng und seine Co-Autoren eine neuartige Methode zur Analyse der Phasenkurve des Exoplaneten Kepler-7b vom Kepler-Weltraumteleskop. Brett Morris leitete den Teil der Datenanalyse für die Studie. Heng sagt: «Brett Morris leitet die Datenanalyse für die CHEOPS-Mission in meiner Forschungsgruppe, und sein moderner Data-Science-Ansatz war entscheidend für die erfolgreiche Anwendung der Formeln auf reale Daten». Derzeit arbeiten sie mit Forschenden des amerikanischen Weltraumteleskops TESS zusammen, um die Phasenkurvendaten von TESS zu analysieren. Heng stellt sich vor, dass seine Formeln auch zu neuartigen Möglichkeiten der Analyse von Phasenkurvendaten des James Webb Weltraumteleskops JWST, dass 2021 seine Reise ins Weltall antreten soll, führen werden. «Was mich am meisten begeistert, ist, dass diese mathematischen Formeln noch lange nach meinem Tod gültig sein werden und wahrscheinlich ihren Weg in Standard-Lehrbücher finden werden», so Heng abschliessend.


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Universität Bern via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


Die News der letzten 14 Tage 4 Meldungen


Mehr zu den Themen






warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte

warte