Exotische Supraleiter: Das Geheimnis, das keines ist

Exotische Supraleiter: Das Geheimnis, das keines ist

Physik-News vom 22.06.2021
 

Wie reproduzierbar sind Messungen in der Festkörperphysik? Ein Forschungsteam analysierte wichtige Messungen neu. Sie fanden heraus: Ein angeblich sensationeller Effekt existiert gar nicht.

Ein Messergebnis ist noch kein Beweis – das zeigt sich in der Wissenschaft immer wieder. Wirklich verlassen kann man sich auf ein Forschungsergebnis erst dann, wenn es mehrmals gemessen wurde, am besten von unterschiedlichen Forschungsteams, auf etwas unterschiedliche Weise. So lassen sich Irrtümer früher oder später aufdecken.

Dass das aber manchmal auch recht lange dauern kann, zeigt eine neue Arbeit von Prof. Andrej Pustogow vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien gemeinsam mit anderen internationalen Forschungsteams. Bei der Untersuchung von Strontium-Ruthenat – einem Material, das für die Erforschung der Supraleitung eine wichtige Rolle spielt – konnte nun ein Experiment widerlegt werden, das in den 1990er Jahren Berühmtheit erlangte: Man glaubte, eine neuartige, exotische Form von Supraleitung entdeckt zu haben. Wie sich nun herausstellt, verhält sich das Material aber ganz ähnlich wie bekannte Hochtemperatur-Supraleiter. Für die Forschung ist das trotzdem ein wichtiger Schritt nach vorne.


Im Labor an der TU Wien

Publikation:


Aaron Chronister et al.
Evidence for even parity unconventional superconductivity in Sr2RuO4
PNAS June 22, 2021 118 (25) e2025313118

DOI: 10.1073/pnas.2025313118



Zwei Teilchen mit gekoppeltem Spin

Supraleitung gehört zu den großen Geheimnissen der Festkörperphysik: Bestimmte Materialien verlieren bei tiefen Temperaturen ihren elektrischen Widerstand vollständig. Komplett verstanden ist dieser Effekt bis heute nicht. Fest steht allerdings, dass sogenannte „Cooper-Paare“ bei der Supraleitung die zentrale Rolle spielen.

In einem normalen Metall besteht elektrischer Strom aus einzelnen Elektronen, die aneinander stoßen und mit den Metallatomen kollidieren. In einem Supraleiter hingegen bewegen sich die Elektronen in Paaren. „Das ändert die Situation ganz massiv“, erklärt Andrej Pustogow. „Es ist ähnlich wie der Unterschied zwischen dem Gedränge in einer belebten Einkaufsstraße und dem scheinbar mühelosen Schweben eines Paares auf der Tanzfläche.“ Wenn die Elektronen in Cooper-Paaren gebunden sind, dann verlieren sie keine Energie durch Stöße und bewegen sich verlustfrei durch das Material. Entscheidend ist, welche Voraussetzungen zu dieser Bildung von Cooper-Paaren führen.

„Aus quantenphysikalischer Sicht ist wichtig, welchen Spin diese zwei Elektronen haben“, sagt Andrej Pustogow. Der Spin ist das magnetische Moment eines Elektrons und kann entweder nach ‚oben‘ oder nach ‚unten‘ zeigen. Bei den Cooper-Paaren kommt es aber zu einer Kopplung: in einem ‚Singulett‘-Zustand zeigt der Spin des einen Elektrons nach oben und der des anderen nach unten. Die magnetischen Momente kompensieren sich gegenseitig und der Gesamtspin des Paares ist somit immer null.

Dieser Regel, der fast alle Supraleiter folgen, schienen sich allerdings die Cooper-Paare in Strontium-Ruthenat (Sr2RuO4) zu widersetzen. Im Jahr 1998 wurden Ergebnisse publiziert, die auf Cooper-Paare hindeuteten, in denen die Spins beider Elektronen in dieselbe Richtung zeigen (dann handelt es sich um ein sogenanntes „Spin-Triplett“). „Das würde völlig neue Anwendungen ermöglichen“, erklärt Andrej Pustogow. „Solche Triplett-Cooper-Paare hätten dann nämlich keinen Gesamtspin von null mehr. Dadurch könnte man sie mit Magnetfeldern manipulieren und mit ihnen verlustfrei Information transportieren, was für Spintronik und mögliche Quantencomputer interessant wäre.“

Das sorgte für großes Aufsehen, nicht zuletzt, weil Strontium-Ruthenat auch aus anderen Gründen als besonders wichtiges Material für die Supraleitungsforschung galt: Seine Kristallstruktur ist ident mit jener der Cuprate, das sind Kupferverbindungen, die Hochtemperatur-Supraleitung aufweisen. Während letztere gezielt mit „Unreinheiten“ versehen werden, um Supraleitung möglich zu machen, ist Sr2RuO4 bereits in seiner reinen Form supraleitend.

Neue Messung, neues Ergebnis

„Wir haben dieses Material eigentlich aus einem ganz anderen Grund untersucht“, sagt Andrej Pustogow. „Doch dabei stellten wir fest, dass diese alten Messungen nicht stimmen können.“ Das internationale Team konnte 2019 zeigen, dass der angeblich exotische Spin-Effekt nur ein Messartefakt war: Die gemessene Temperatur stimmte nicht mit der tatsächlichen Temperatur der untersuchten Probe überein, in Wahrheit war die damals untersuchte Probe gar nicht supraleitend. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf wurde die Supraleitung des Materials nun mit großer Sorgfalt neu untersucht. Die neuen Ergebnisse zeigen eindeutig, dass Strontium-Ruthenat kein Triplett-Supraleiter ist. Vielmehr entsprechen die Eigenschaften dem, was man auch bereits von den Cupraten kennt.

Enttäuschend findet Andrej Pustogow das allerdings nicht: „Es ist ein Ergebnis, das unser Verständnis der Hochtemperatur-Supraleitung in diesen Materialien wieder einen Schritt nach vorne bringt. Die Erkenntnis, dass Strontium-Ruthenat ähnliches Verhalten zeigt wie die Cuprate bedeutet zwar einerseits, dass wir es nicht mit einem exotischen, neuen Phänomen zu tun haben, aber andererseits heißt es auch, dass wir ein neues Material haben, an dem wir bereits bekannte Phänomene untersuchen können.“ Dafür eignet sich ultra-reines Strontium-Ruthenat besser als bisher bekannte Materialien. Es bietet ein viel saubereres Testfeld als die Cuprate.

Zusätzlich lernt man daraus auch etwas über die Zuverlässigkeit alter, allgemein anerkannter Publikationen: „Eigentlich könnte man ja denken, dass Ergebnisse in der Festkörperphysik kaum falsch sein können“, meint Pustogow. „Während man sich in der Medizin vielleicht mit einigen wenigen Labormäusen oder einer Stichprobe von tausend Testpersonen zufriedengeben muss, untersuchen wir in einem einzigen Kristall Milliarden von Milliarden (etwa 1019) Elektronen. Das erhöht die Zuverlässigkeit unserer Ergebnisse. Aber das heißt eben noch nicht, dass jedes Ergebnis auch völlig korrekt ist. Wie überall in der Wissenschaft ist auch in unserem Fachbereich das Reproduzieren früherer Ergebnisse unverzichtbar – und genauso das Falsifizieren.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material der Technischen Universität Wien via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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