Schnelle Wasserbildung in diffusen interstellaren Wolken

Schnelle Wasserbildung in diffusen interstellaren Wolken

Physik-News vom 25.06.2018
 

Zwei wichtige Schritte in der Bildung von gasförmigem Wasser in diffusen interstellaren Wolken verlaufen schneller als bisher vermutet. Dies ist das Ergebnis von Messungen bei tiefen Temperaturen, die jetzt Physikern am MPI für Kernphysik gelang. Rechnungen mit einer neuartigen Methode, die Quanteneffekte berücksichtigt, stimmen damit hervorragend überein. Die neuen Werte haben weitreichende Auswirkungen auf das Verständnis der interstellaren Chemie.

Ansammlungen von Gas und Staub im Weltraum können mit Teleskopen von der Erde aus als interstellare Wolken beobachtet werden. Trotz der niedrigen Temperaturen und der geringen Dichten findet man in interstellaren Wolken eine Vielzahl von Molekülen. Das Rückgrat der kalten interstellaren Chemie sind Reaktionen zwischen geladenen und ungeladenen Atomen oder Molekülen.


Vereinfachtes Netzwerk der interstellaren Chemie in der Gasphase, mit der Wasserbildung (blau) vor dem Hintergrund des Orionnebels

Publikation:


Sunil S. Kumar, Florian Grussie, Yury V. Suleimanov, Hua Guo, Holger Kreckel
Low temperature rates for key steps of interstellar gas-phase water formation
Science Advances 4, eaar3417

DOI: 10.1126/sciadv.aar3417



Im heutigen Universum führen Ionen-Neutral-Reaktionen in der Gasphase zur Bildung größerer Moleküle, vom protonierten Wasser (H3O+) bis hin zu organischen Verbindungen. Trifft eines der protonierten und daher positiv geladenen Moleküle allerdings auf ein freies Elektron, wird es neu­tralisiert und zerbricht im Normalfall in neutrale Bruchstücke. Dieser Prozess führt zu Verbindungen, die von Wasser (H2O) bis hin zu Alkohol und anderen organischen Verbindungen reichen.


Übersicht des experimentellen Aufbaus mit der kryogenen 22-Pol-Falle in der Mitte.

Wie effektiv sind nun diese Prozesse? Hierbei kommt es entscheidend darauf an, ob ein Stoß zwischen den Reaktionspartnern auch tatsächlich zur Reaktion führt, denn in dem dünnen Medium sind Stöße selten. Das lässt sich nur mit Laborexperimenten herausfinden, die unter Bedingungen wie in interstellaren Wolken erfolgen sollten. Da diese aber schwierig zu realisieren sind, basieren bis heute astrochemische Modelle meist auf Daten, die bei weit höheren Temperaturen und Dichten gemessen wurden, und dementsprechend nur bedingt Gültigkeit haben.

Wasser entsteht in diffusen interstellaren Wolken – in denen Reaktionen auf der Oberfläche von interstellarem Staub keine große Rolle spielen – über eine Kette von Prozessen, die von der kosmischen Strahlung gestartet wird. Zwischenprodukte sind das Hydroxylion (OH+) und das Wasserkation (H2O+), die jeweils mit Wasserstoffmolekülen reagieren, wobei sie ein Wasserstoffatom anlagern und das andere freisetzen. Eine Messung der Reaktionsraten dieser beiden wichtigen Schritte für die Erzeugung von interstellarem Wasser bei tiefen Temperaturen gelang nun der vom Europäischen Forschungsrat geförderten ‚Astrolab‘-Gruppe von Holger Kreckel am MPI für Kernphysik. Die Wissenschaftler sperrten die Ionen in einer kryogenen Radiofrequenz-Ionenfalle ein, in der Temperaturen bis zu 10 Grad über dem absoluten Nullpunkt erreichbar sind. Bis zu 100 Millisekunden nach Zugabe einer definierten Menge Wasserstoffgas bestimmten sie, wie viele der ursprünglichen Ionen noch vorhanden waren. Aus den Daten haben sie sogenannte Ratenkoeffizienten abgeleitet, die ein Maß dafür sind, wie effizient die Stöße zwischen den Reaktionspartnern sind. Es zeigte sich, dass hier praktisch jeder Stoß zur Reaktion führt.

Parallel dazu haben Kollegen aus Zypern und den USA theoretische Rechnungen mit einer neuartigen Methode durchgeführt, welche auf elegante Weise Analogien zwischen einem Quantensystem und den Eigenschaften von ringförmigen Molekülen nutzt und damit Quanteneffekte berücksichtigt, welche bei tiefen Temperaturen besonders zum Tragen kommen. Die so berechneten Ratenkoeffizienten stimmen hervorragend mit den gemessenen überein.

Die neuen Werte sind gegenüber früheren Messungen bei Raumtemperatur deutlich „schneller“. Das hat Auswirkungen auf das Verständnis der interstellaren Chemie, die weit über die Wasserbildung hinausgehen. „Unsere Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, in astrochemischen Modellen Parameter zu verwenden, die unter Weltraumbedingungen gemessen wurden“, sagt Holger Kreckel. „Da dies aber experimentell oft schwierig und zeitaufwendig ist, ist es ebenso wichtig, theoretische Verfahren für Rektionen bei diesen extremen Bedingungen zu entwickeln und anhand von Messungen zu testen. In diesem Fall liegt die Stärke unserer Arbeit in der Kombination von experimentellen und theoretischen Methoden, die auch bei interstellaren Bedingungen noch Gültigkeit haben.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material idw erstellt


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