Physikalische Zauberei ermöglicht Kühlen ohne Energiezufuhr

Physikalische Zauberei ermöglicht Kühlen ohne Energiezufuhr

Physik-News vom 19.04.2019
 

Physiker der Universität Zürich haben eine verblüffend einfache Anordnung entwickelt, bei der Wärme ohne Energiezufuhr von aussen zeitweise von einem kälteren zu einem wärmeren Objekt fliesst. Dieser Vorgang steht jedoch nur scheinbar im Widerspruch zu den Gesetzen der Physik.

Stellt man einen Krug mit kochendem Wasser auf den Küchentisch, so wird dieser mit der Zeit abkühlen. Doch seine Temperatur wird nie unter jene des Tisches fallen. Genau diese Alltagserfahrung beschreibt einer der fundamentalen Sätze der Physik: der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Er besagt, dass die Entropie eines abgeschlossenen Systems mit der Zeit zunehmen muss. Vereinfacht ausgedrückt heisst das, dass Wärme von selbst nur von einem wärmeren zu einem kälteren Objekt fliessen kann und nicht umgekehrt.

Abkühlen unter Zimmertemperatur

Die Forschungsgruppe von Prof. Andreas Schilling am Physik-Institut der Universität Zürich (UZH) hat nun ein Experiment durchgeführt, dessen Ergebnis den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auf den ersten Blick zu verletzen scheint. Den Forschern ist es gelungen, ein neun Gramm schweres Stück Kupfer von über 100°C deutlich unter Zimmertemperatur abzukühlen, ohne dass von aussen Energie zugeführt wird. «Theoretisch könnte man mit dieser Versuchsanordnung kochendes Wasser ohne Energieaufwand zu Eis erstarren lassen», sagt Schilling.


Mit der neuen Versuchsanordnung im Prinzip möglich: Kochendes Wasser ohne Energieaufwand zu Eis erstarren lassen.

Oszillierende Wärmeströme erzeugen

Die Forscher verwendeten hierfür ein sogenanntes Peltier-Element – ein Bauteil, das beispielsweise für das Kühlen der Minibar in Hotelzimmern eingesetzt wird. Es hat die Fähigkeit, elektrische Ströme in eine Temperaturdifferenz umzuwandeln. Mit Hilfe eines solchen Elements erzeugten die Wissenschaftler in Verbindung mit einer elektrischen Induktivität schon in früheren Versuchen einen oszillierenden Wärmestrom, bei dem der Wärmefluss zwischen zwei Körpern ständig die Richtung wechselt. Dabei wird zeitweise auch Wärme von einem kälteren Objekt auf ein wärmeres Objekt übertragen, so dass das kältere Objekt weiter abkühlt. Ein solcher «thermischer Schwingkreis» enthält faktisch eine «thermische Induktivität». Er funktioniert analog zu einem elektrischen Schwingkreis, bei dem die elektrische Spannung mit ständig wechselndem Vorzeichen oszilliert.

Physikalische Gesetze bleiben intakt

Bis jetzt hatte das Team um Schilling solche thermischen Schwingkreise nur unter Zufuhr von Energie betrieben. Die Forscher konnten nun erstmals zeigen, dass sich ein solcher thermischer Schwingkreis auch passiv – also ohne jegliche Energiezufuhr von aussen – betreiben lässt. Es traten ebenfalls thermische Oszillationen auf und über einige Zeit floss Wärme direkt vom kälteren Kupfer hin zu einem wärmeren Wärmebad von 22°C ohne zwischenzeitlich in eine andere Energieform umgewandelt zu werden. Die Autoren konnten zudem nachweisen, dass bei diesem Vorgang trotzdem keine Gesetze der Physik verletzt wurden. Dazu berechneten sie die Änderung der Entropie des Gesamtsystems und zeigten, dass diese im Verlauf der Zeit zunimmt – genau wie dies der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik fordert.

Potenzielle Anwendung noch Zukunftsmusik

Der im Experiment erreichte Unterschied zur Zimmertemperatur betrug zwar nur knapp 2°C, doch liegt dies hauptsächlich an den Eigenschaften des verwendeten kommerziellen Peltier-Elements. Gemäss Schilling wäre rein rechnerisch mit einem (noch nicht existierenden) «idealen» Peltier-Elements unter gleichen Bedingungen eine Abkühlung bis zu -47°C möglich: «Mit dieser sehr einfachen Technik liessen sich theoretisch also grosse Mengen an heissem Material, egal ob fest, flüssig oder gasförmig, ohne jeglichen Energieaufwand unterhalb Umgebungstemperatur abkühlen.» Der passive thermische Schaltkreis könnte dabei beliebig oft verwendet werden.

Schilling räumt allerdings ein, dass eine Anwendung in grossem Massstab noch nicht absehbar ist. Einerseits sind die derzeit erhältlichen Peltier-Elemente nicht effizient genug. Andererseits benötigt die jetzige Versuchsanordnung supraleitende Induktivitäten, um die elektrischen Verluste möglichst klein zu halten.

Altgediente Auffassungen auf den Kopf gestellt

Für den UZH-Physiker ist nicht nur der erstmals erbrachte, prinzipielle Nachweis bedeutsam: «Die Experimente muten zunächst wie thermodynamische Zauberei an und rütteln damit auch in gewissem Masse an unseren gängigen Vorstellungen über Wärmeflüsse.»


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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