Blaupausen für das Fusionskraftwerk

Blaupausen für das Fusionskraftwerk

Physik-News vom 15.03.2021
 

Am 21 März 1991 erzeugte die Experimentieranlage ASDEX Upgrade im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching das erste Plasma. Aufgabe dieser leistungsstärksten nationalen Fusionsanlage vom Typ Tokamak in Europa ist es, Kernfragen der Forschung unter kraftwerksähnlichen Bedingungen zu untersuchen. Seit nunmehr 30 Jahren erarbeitet ASDEX Upgrade Plasmaszenarien für JET, ITER und ein Fusionskraftwerk. Ein ab Mitte 2022 geplanter Umbau soll die Anlage für die Zukunft rüsten.

Ziel der Fusionsforschung ist es, ein klima- und umweltfreundliches Kraftwerk zu entwickeln. Ähnlich wie die Sonne soll es Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnen. Brennstoff ist ein extrem dünnes, ionisiertes Wasserstoff-Gas, ein Plasma. Zum Zünden des Fusionsfeuers muss das Plasma nahezu berührungsfrei in Magnetfeldern eingeschlossen und auf hohe Temperatur über 100 Millionen Grad aufgeheizt werden.

Um die Wechselwirkung zwischen dem heißen Brennstoff und den umgebenden Wänden zu regulieren, wurde ASDEX Upgrade mit einem besonderen Bauteil ausgerüstet, mit einem Divertor. Er gab der Anlage ihren Namen: Axialsymmetrisches Divertor-Experiment. Ein zusätzliches Magnetfeld, das Divertor-Feld, lenkt den äußeren Rand des ringförmigen Plasmas auf robuste, wassergekühlte Platten am Boden des Gefäßes. So werden störende Verunreinigungen aus dem Plasma entfernt. Zugleich hüllt die vom Divertor-Feld geformte Randschicht das Zentralplasma wie ein wärmender Mantel ein – eine Voraussetzung für hohe Wärmeisolation. Wie gut dies funktioniert, konnte bereits der Vorgänger ASDEX zeigen.


Blick in das Plasma von ASDEX Upgrade. Der Rand des Plasmas wird auf die robusten Divertor-Platten am Boden des Gefäßes gelenkt.

Im Unterschied zu ASDEX sind bei ASDEX Upgrade jedoch der Divertor sowie wichtige Eigenschaften des Plasmas, vor allem die Dichte und die Belastung der Wände, stärker den Verhältnissen in einem späteren Kraftwerk angepasst. Ausgerüstet mit einer leistungskräftigen Plasmaheizung und einer Vielzahl ausgefeilter Messapparaturen zum Beobachten des Plasmas kann ASDEX Upgrade daher Betriebsweisen für ein Kraftwerk entwickeln. In bis heute 38.700 Plasmaentladungen beantwortete die Anlage wesentliche Forschungsfragen für das europäische Gemeinschaftsexperiment JET, den internationalen Experimentalreaktor ITER und ein geplantes Demonstrationskraftwerk.

Forschung für das Fusionskraftwerk

Beispiel 1: Die Wand des Plasmagefäßes

Fast alle frühen Fusionsanlagen benutzten Kohlenstoff zur inneren Verkleidung des Plasmagefäßes. Er ist hitzebeständig und gut wärmeleitfähig; aus der Wand abgelöst, sind die leichten Kohlenstoff-Atome im Plasma auch in etwas größeren Mengen noch tolerabel. Zum Experimentieren ist das Material also sehr vorteilhaft, jedoch gänzlich ungeeignet für ein künftiges Kraftwerk: Es würde vom Plasma zu stark abgetragen und zu viel Brennstoff an sich binden.


Das Plasmagefäß von ASDEX Upgrade. Am Boden sind die Prallplatten des Divertors zu sehen.

Deshalb begann man 1996 an ASDEX Upgrade, die zunächst mit Kohlenstoff-Kacheln bedeckte Wand des Plasmagefäßes mit Wolfram zu beschichten. Unter allen Metallen besitzt es den höchsten Schmelzpunkt. Allerdings führen bereits kleinste Mengen der schweren Wolfram-Atome im Plasma zu großen Abstrahlungsverlusten – das Plasma wird kalt. Deshalb tauschte man die Wandverkleidung nur vorsichtig und schrittweise aus. 2007 war die letzte Kohlenstoff-Oberfläche durch Wolfram ersetzt. Um die befürchteten Energieverluste im Plasma zu vermeiden, mussten viele Betriebsweisen angepasst werden. Insbesondere wurden Methoden entwickelt, einen kalten Plasmarand einzustellen (siehe PI 12/2012). Direkte Konsequenzen dieses Erfolgs: In einem größeren Umbau erhielt das europäische Gemeinschaftsexperiment JET 2011 einen Wolfram-Divertor. Der internationale Experimentalreaktor ITER entschied, auf die zunächst geplanten Experimente mit Kohlenstoff-Divertor zu verzichten und gleich auf Wolfram zu setzen. Für das Demonstrationskraftwerk ist Wolfram das Referenzmaterial.

Beispiel 2: Instabilitäten

In der Wechselwirkung der geladenen Plasmateilchen mit dem einschließenden Magnetfeld können sich unterschiedlichste Störungen des Plasmaeinschlusses entwickeln. Dazu gehören Instabilitäten am Plasmarand, sogenannte ELMs (Edge Localized Modes). Dabei verliert das Randplasma kurzzeitig seinen Einschluss und wirft periodisch Plasmateilchen und -energie nach außen auf die Gefäßwände. Während mittelgroße Anlage wie ASDEX Upgrade dies verkraften, könnte in Großanlagen wie ITER der Divertor überlastet werden.

Zur Lösung dieses Problems wurden an ASDEX Upgrade Verfahren erarbeitet, die ELMs zu verhindern, zum Beispiel durch eine kontrollierte Störung des Magnetfeldes im Plasmarand (siehe PI 1/2011). Im Plasmagefäß wurden dazu 16 kleine Magnetspulen eingebaut. Ihre Störfelder können die ELM-Instabilität komplett unterdrücken. Eine zweite Methode setzt ganz am äußersten Plasmarand an. Gelingt es, hier – über das Magnetfeld – die richtige Plasmaform einzustellen und zugleich – durch Einblasen von Wasserstoff – für eine genügend hohe Teilchendichte zu sorgen, dann können sich ELMs nicht entwickeln (siehe PI 3/2020).

Ähnlich unerwünscht wie ELMs sind „Neoklassische Tearing-Moden“: Sie treten auf, wenn Temperatur und Druck des Plasmas in die Nähe der Zündwerte kommen. Im vormals symmetrischen Plasmaring bilden sich dann blasenartige Störungen mit eigener, in sich geschlossener Magnetfeldstruktur: „magnetische Inseln“. Es kommt quasi zu einem magnetischen Kurzschluss. Da nun ein schneller Energieaustausch auch quer zu den Feldlinien möglich wird, sinken Plasmatemperatur und -druck über die Breite der Insel ab. Die Leistungsausbeute von ITER und einem späteren Kraftwerk würde sehr darunter leiden.

1999 ist es an ASDEX Upgrade erstmals gelungen, die Bildung magnetischer Inseln zu behindern: Dazu hat man gezielt – auf Zentimeter genau – Mikrowellen in die Mitte einer entstehenden Insel eingestrahlt. So wurde lokal ein elektrischer Strom erzeugt, der die Insel auflöst. Durchschlagenden Erfolg hatte man, als es später gelang, eine Insel gänzlich zurückzubilden (siehe PI 8/2004) und das Verfahren zu automatisieren. Inzwischen erkennt die Feed-Back-Steuerung von ASDEX Upgrade die Ausbildung einer Insel, visiert sie mit beweglichen Spiegeln an und löst den Mikrowellenstrahl aus. Nach diesem Vorbild wurde in die ITER-Pläne eine steuerbare Einkopplung für Mikrowellen aufgenommen.

Beispiel 3: Dauerbetrieb

Fusionsanlagen vom Typ Tokamak – wie ASDEX Upgrade, JET oder ITER – bauen den magnetischen Käfig mit zwei sich überlagernden Magnetfeldern auf: mit einem ringförmigen Feld, erzeugt durch äußere Magnetspulen, sowie dem Feld eines im Plasma fließenden Stroms. In dem kombinierten Feld ist die zum Plasmaeinschluss nötige Verdrillung der Feldlinien erreicht. Der Plasmastrom wird normalerweise pulsweise durch eine Transformatorspule im Plasma induziert. Daher arbeitet die gesamte Anlage in Pulsen – ein Manko der ansonsten so erfolgreichen Tokamaks.

Deshalb untersucht man verschiedene Methoden, den Strom im Plasma kontinuierlich zu erzeugen, zum Beispiel durch Einstrahlen von Hochfrequenzwellen oder Einschießen von Teilchenstrahlen, die einen zusätzlichen Strom im Plasma antreiben. So lässt sich auch das Profil des Stroms im Plasma beeinflussen und damit die Verdrillung der Feldlinien verändern. Eine geeignete Formung der Profile von Plasmadruck und Feldlinien-Verdrillung kann zudem den sogenannten Bootstrap-Strom verstärken. Dieser elektrische Strom, den das Plasma bei Druckunterschieden von alleine aufbaut, kann einige zehn Prozent des Gesamtstroms ausmachen. Er lässt sich daher ebenfalls nutzen, um die Entladungen unabhängiger vom Transformator und länger zu machen.

An ASDEX Upgrade ist beides – durch sorgfältige Steuerung der Entladungen – erstmals an einer Maschine mit rein metallischer Innenwand gelungen (siehe PI 4/2016). Unter diesen herausfordernden, aber reaktorrelevanten Bedingungen gelang der Betrieb nahezu ohne Transformator. Wäre ASDEX Upgrade nicht mit normalleitenden Kupferspulen, sondern, wie ITER, mit supraleitenden Magnetspulen ausgerüstet, hätte diese Phase länger ausgedehnt werden können – potentiell bis hin zum Dauerbetrieb.

Beispiel 4: Stromabbrüche

Ein Nachteil von Tokamak-Fusionsanlagen sind Stromabbrüche. Dabei geht der im Plasma fließende elektrische Strom innerhalb weniger Millisekunden verloren. Dies führt zu starken elektromagnetischen Kräften, die einzelne Bauteile beschädigen können. In einem Kraftwerk zöge dies kostenträchtige Reparaturen nach sich.

Da die Auslöser solcher Stromabbrüche bekannt sind, können Gegenmaßnahmen getroffen werden. Sie machen den Abbruch weicher und verteilen die Plasmaenergie als Lichtstrahlung gleichmäßig auf die Wand. An ASDEX Upgrade geschieht dies zum Beispiel durch schnelle Gas-Pulse oder Kügelchen aus gefrorenem Gas, die in das Plasma geschossen werden. Am besten wäre es jedoch, Stromabbrüche ganz zu vermeiden. Mit einem intelligenten Regelalgorithmus ist dies an ASDEX Upgrade auch für einige Fälle gelungen. Alle Ursachen vollständig abzudecken, wird aber noch einige Jahre Entwicklungsarbeit benötigen.

Ausblick

Während der 30 Betriebsjahre von ASDEX Upgrade wurde die Divertor-Form mehrfach geändert und optimiert. Hier will man nun einen weiteren Schritt gehen und ein neues Divertor-Konzept testen: Zwei zusätzliche Magnetspulen an der Decke des Plasmagefäßes sollen das Divertor-Feld so auffächern, dass sich die Leistung aus dem Plasma auf eine größere Fläche verteilt.

Die Planungen für den neuen Divertor begannen 2016. Inzwischen ist der Entwurf abgeschlossen. Prototypen und ein Teststand für die Montage wurden gebaut, um die Fertigungsabläufe und den Einbau in ASDEX Upgrade vorzubereiten. Mitte 2022 soll die Montage beginnen.

Mit diesen und zahlreichen weiteren Untersuchungen wird der Garchinger Tokamak auch weiterhin Lösungen für die Probleme eines künftigen Demonstrationskraftwerks erarbeiten. „In vielerlei Hinsicht“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Arne Kallenbach, „kann ASDEX Upgrade als ‚Blaupause‘ für ein Tokamak-Fusionskraftwerk angesehen werden. Die in 30 Jahren erarbeiteten Muster-Entladungen liefern zusammen mit neu entwickelten Computercodes verlässliche Informationen für ein Kraftwerk“.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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