Weltenei

Weltenei

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Der römische Mithras in der Erscheinungsform von Phanes

Das Weltenei ist in unterschiedlichen Schöpfungssagen das Ei, aus dem die Welt in Gestalt eines Allgottes hervorgegangen ist. Es taucht in den Weltentstehungslegenden der Inder, Perser, Ägypter, Griechen und anderer Völker auf und gehört offenbar zum allgemeinmenschlichen Mythenschatz.

Hinduismus

Das „Gesetz Manus“ (des ersten indischen Gesetzgebers, vgl. Manusmriti) beginnt mit einem Schöpfungsmythos: „Er (Prajapati) hatte den Wunsch, Wesen aller Art aus seinem eigenen Körper hervorgehen zu lassen. Zu diesem Zweck erschuf er durch einen bloßen Gedanken das Wasser und legte seinen Samen darein. Der Same wurde zu einem goldenen Ei, leuchtend wie die Sonne, und in diesem Ei wurde er selbst geboren als Brahman, der Schöpfer der Welt … Der Göttliche wohnte ein Jahr lang in diesem Ei, dann teilte er es Kraft seines Gedankens in zwei Hälften, und aus den beiden Hälften formte er Himmel und Erde … Indem er seinen eigenen Körper teilte, wurde er halb männlich und halb weiblich …“ [1]

Zoroastrismus

Plutarch gibt die Lehre der Perser über den Ursprung der Welt wieder. Danach schuf der Gott des Lichtes, Ahura Mazda, die Sterne samt 30 guten Göttern und tat sie in ein Ei. Aber der Gott der Finsternis, Ahriman, erschuf ebenso viele böse Götter, die das Ei auf allen Seiten durchbohrten und hineinschlüpften, „wodurch das Böse dem Guten beigemischt ward und noch ist. Doch werde eine vom Schicksal bestimmte Zeit kommen, wo Ahriman durch Pest und Hunger, die er selbst herbeiführte, vollständig vernichtet werde und verschwinde und die Erde glatt und eben wird, während eine einzige Lebensweise, ein einziger Staat und eine einzige Sprache alle glückseligen Menschen umfasse“[2]. Es wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber man hat doch den Eindruck, dass der Gott des Lichtes und der Gott der Finsternis beide mit im Weltenei sitzen. Beide sind Söhne des Gottes Zurvan akarana, des „Gottes der endlosen Zeit“, der offenbar ganz speziell mit dem Weltenei zusammenhängt wie Brahman und wie Amun und Protogonos.

Ägypten

Nach der Lehre der Ägypter (wobei es im alten Ägypten mehrere unterschiedliche Schöpfungsgeschichten gab) ging die Welt aus einem Gänseei als Amun, „der große Gackerer“, hervor. Hymnen preisen ihn als den Allgott, „der (am Anfang der Welt) seinen Samen mit seinem Leib verband, um sein Ei in seinem geheimen Inneren entstehen zu lassen“. „Er bildete sein Ei selbst, der Mächtige …, alle Götter sind entstanden, nachdem er mit sich den Anfang gemacht hatte.“ Er ist der „Allherr, der mit dem Dasein begann“. Als selbst unerschaffener Schöpfer brachte er die Welt durch „Selbstbegattung“ hervor. Er ist - wie Brahman - männlich und weiblich zugleich. Amun gilt als ein besonders geheimnisvoller, verborgener Gott. „Er ist zu gewaltig, als dass … man ihn kennen könnte. Sofort fällt nieder, als ob er tot wäre durch einen Schlag, wer seinen geheimen Namen ausspricht.“[3]

Griechische und römische Antike

In Griechenland gehört der Mythos vom Welten-Ei zum Dionysoskult. Die heiligen Geschichten dieses Kultes berichten, dass der - mehr oder weniger mit Dionysos identische - Schöpfergott aus einem Ei schlüpfte. So geheimnisvoll sein Wesen ist, so unsicher ist auch sein Name, er heißt Phanes, Protogonos, Eros oder Kronos. Da er selbst unerzeugt ist und vielmehr alles erzeugt, ist er - wie Brahman und wie Amun - mann-weiblich. Als Eigeborener hat er Flügel. In einem orphischen Hymnos wird er angerufen:„ Urwesen, doppelgestaltiger, ätherdurchfliegender Riese, / der du dem Ei entschlüpftest, prangend mit goldenen Schwingen, / brüllend so laut wie ein Stier, du Ursprung der Götter und Menschen …/ seliger, Kluger, an Samen Reicher, besuche voll Freude/ uns, die Kenner der Feiern, zur heiligen, leuchtenden Weihe“ Ähnlich wie der ägyptische Amun gilt auch der orphische Protogonos/Phanes als eine besonders „geheimnisumwitterte Gottheit“. Er zieht den „Kennern der Feier“ den „Schleier der dunstigen Finsternis fort von den Augen“.[4]

Im römischen Mithraskult taucht Mithras in der Erscheinungsform des orphischen Phanes auf. Geflügelt und schlangenumwunden, umgeben von den zwölf Sternbildern desTierkreises und den aus den vier Himmelsrichtungen blasenden Winden steht er zwischen der unteren und der oberen Hälfte des Welteneies. In der Rechten hält er den herrschaftlichen Donnerkeil, in der Linken die Weltachse.

Finnland

Im finnischen Nationalepos Kalevala heißt es, dass eine Tauchente ein Ei in den Schoß von Ilmata, der Göttin der Luft, legte. „Die untere Hälfte verwandelte sich /und wurde zur Erde, / und seine obere Hälfte verwandelte sich / und wurde zum Himmel./ Aus dem Dotter wurde die Sonne …,/ und aus dem Weiß wurde der Mond.“.[5]

Afrika

In der afrikanischen Kosmogonie geht es mehr um die Erschaffung der ersten Menschen und Welterschaffungsmodelle kommen relativ selten vor. Ausnahmen bilden die komplexen Schöpfungsmythen der Dogon in Mali mit dem vom Schöpfergott Amman geschaffenen Weltenei und die marokkanischen Gnawa, deren Welt aus einem Schlangenei entstand, das auf dem Urozean schwamm. Ihre kosmogonische Vorstellung prägt die Heilungszeremonie Derdeba.

Einzelnachweise

  1. Laws of Manu, übersetzt von Max Müller, Artikel 8 ff.
  2. Plutarch, Über Isis und Osiris K. 47
  3. Günther Roeder, Die ägyptische Götterwelt Bd. 1, Zürich 1959, S. 289, 294/95
  4. Griechische Lyrik, übertragen von Dietrich Ebener, Bayreuth 1985, S. 456
  5. Ülo Valk: Ex Ovo Omnia: Where Does the Balto-Finnic Cosmogony Originate? The Etiology of an Etiology. Oral Tradition, 15/1, 2000, S. 145–158 (PDF; 178 kB) Zum Ei in der finnischen und baltischen Kosmogonie

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