Die Alchemie von verschmelzenden Neutronensternen

Die Alchemie von verschmelzenden Neutronensternen

Physik-News vom 23.10.2019
 

Zum ersten Mal haben Astronomen ein chemisches Element identifiziert, das durch das Verschmelzen zweier Neutronensterne gebildet wurde. Der verantwortliche Mechanismus – bekannt als schneller Neutroneneinfang – gilt als der Ursprung großer Mengen von Elementen, die schwerer sind als Eisen. Diese Entdeckung wirft neues Licht auf das Rätsel über diejenigen Objekte, in denen dieser r-Prozess stattfindet. Mit wichtigen Beiträgen des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) in Heidelberg konnten Astronomen nun eindeutig zeigen, dass die Vereinigung zweier Neutronensterne die Voraussetzungen für diesen Prozess schafft und als Reaktor dient, in dem neue Elemente erbrütet werden.

Die Herkunft von schweren Elementen wie Gold, Blei und Uran ist bis heute nicht völlig geklärt. Die leichtesten Elemente – Wasserstoff und Helium – wurden in nennenswerten Mengen bereits mit dem Urknall erzeugt. Die Kernfusion in den Zentren der Sterne ist zudem als Quelle für Atome vom Helium bis hin zum Eisen gut etabliert.


Künstlerische Darstellung der Kollision von zwei Neutronensternen.

Publikation:


Darach Watson, Camilla J. Hansen, Jonatan Selsing et al.
Identification of strontium in the merger of two neutron stars
Nature (2019)

DOI: 10.1038/s41586-019-1676-3



Für die Erzeugung von schwereren Atomen vermuten Wissenschaftler einen Prozess, der freie Neutronen an bereits bestehende Bausteine anlagert. Die schnelle Variante dieses Mechanismus ist der r-Prozess (r steht für rapid, d.h. schnell) oder schneller Neutroneneinfang. Welche Objekte solche Reaktionen ermöglichen, wird derzeit erforscht. Als potentielle Kandidaten gelten bislang seltene Formen von Supernovaexplosionen und die Verschmelzung von dichten Endstadien von Sternen wie Neutronen-Doppelsterne [1].

Große Mengen an Strontium bilden sich in weniger als einer Sekunde

Eine internationale Gruppe von Astronom mit wesentlicher Beteiligung von Camilla Juul Hansen vom Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) hat nun durch die Auswertung von Spektren die Signatur des Elements Strontium entdeckt, das während einer explosionsartigen Verschmelzung von zwei Neutronensternen durch den r-Prozess gebildet wurde.


Illustration des schnellen Neutroneneinfangs.

Die explosive Vereinigung erzeugte eine Blase, die sich mit rasenden 20% bis 30% der Lichtgeschwindigkeit ausdehnt. Der Anteil des neu gebildeten Strontiums an der expandierenden Hülle beträgt etwa fünf Erdmassen (1 Erdmasse = 6·10^24 kg). Somit liefern die Forscher zum ersten Mal den eindeutigen Nachweis, dass solch eine Kollision die Bedingungen für den r-Prozess bietet, in denen schwere Elemente erzeugt werden können. Nebenbei ist dies die erste empirische Bestätigung, dass Neutronensterne aus Neutronen bestehen.

Der r-Prozess ist wahrhaftig rasant. Pro Sekunde strömen mehr als 10²² Neutronen durch eine Fläche von einem Quadratzentimeter. Durch den Beta-Zerfall verwandeln sich einige der angehäuften Neutronen in Protonen, wobei jeweils ein Elektron und ein Antineutrino abgegeben werden. Das Besondere an dieser Reaktion ist, dass sich die Neutronen schneller zu großen Objekten zusammenfügen, als dass die neu entstandenen Konglomerate wieder zerfallen. So können selbst aus einzelnen Neutronen innerhalb weniger als eine Sekunde schwere Elemente entstehen.

Verschmelzende Neutronensterne erzeugen Gravitationswellen

Die Daten wurden im Nachgang der spektakulären Entdeckung des Gravitationswellensignals GW170817 vom August 2017 mit dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) erstellt. Neben einem Gammastrahlungsausbruch wurde an selber Stelle die Kilonova AT2017gfo beobachtet, ein Nachleuchten im sichtbaren Licht aufgrund der radioaktiven Prozesse, das nach einem zunächst starken Helligkeitsanstieg innerhalb weniger Tage verblasste. Die erste Analyse der Spektren im Jahr 2017 durch eine andere Forschungsgruppe konnte zunächst kein klares Ergebnis über die Zusammensetzung der Reaktionsprodukte liefern.

Die aktuelle Auswertung von Dr. Hansen und ihren Kollegen basiert auf der Erstellung von synthetischen und der Modellierung der beobachteten Spektren, die über vier Tage hinweg in einem Abstand von je einem Tag aufgenommen wurden. Die Spektren deuten auf ein Objekt mit einer anfänglichen Temperatur von ca. 4000 K (ca. 4300 °C) hin, welches sich in den folgenden Tagen abschwächte und abkühlte. Auffällig sind die Helligkeitsdefizite bei Wellenlängen von 350 und 850 nm. Diese sind gleichsam die Fingerabdrücke des Elements, das an diesen Stellen Licht absorbiert.

Unter Berücksichtigung der Blauverschiebung dieser Absorptionsbanden, die durch die Expansion der Hülle wegen des Doppler-Effekts hervorgerufen wird, hat die Forschungsgruppe synthetische Spektren von einer großen Anzahl von Atomen [2] mittels dreier Methoden mit zunehmender Komplexität berechnet. Da all diese Methoden konsistente Ergebnisse liefern, gilt die Schlussfolgerung als robust. Es stellte sich heraus, dass einzig Strontium, erzeugt durch den r-Prozess, in der Lage ist, die Positionen und die Stärke der Absorptionen in den Spektren zu erklären.

Ein Fortschritt im Verständnis der Entstehung schwerer Elemente

„Die Ergebnisse dieser Arbeit sind ein wichtiger Schritt bei der Entschlüsselung der Nukleosynthese von schweren Elementen und ihren kosmischen Brutstätten“, schlussfolgert Hansen. „Dies war nur durch die Verknüpfung der erst jungen Disziplin der Gravitationswellenastronomie mit präziser Spektroskopie elektromagnetischer Strahlung möglich. Diese neuen Messmethoden geben Hoffnung auf weitere bahnbrechende Erkenntnisse über die Eigenschaften des r-Prozesses.“


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Informationsdienstes der Wissenschaft (idw) erstellt


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