Biomoleküle auf kosmischen Staubkörnern

Biomoleküle auf kosmischen Staubkörnern

Physik-News vom 10.02.2022
 

Eine ungewöhnliche neue Form von chemischer Reaktion könnte ermöglichen, dass kleine Biomoleküle, genauer: Peptide, auf der eisigen Oberfläche von kosmischen Staubkörnern entstehen. Peptide sind einer der Grundbausteine des Lebens. Die neue Entdeckung stützt Szenarien, denen zufolge sich komplexe organische Moleküle, die sich auf Staubkörnern in Molekülwolken im Weltraum gebildet haben, anschließend von Meteoroiden, Asteroiden oder Kometen zur Erde getragen wurden und dort zur Entstehung des ersten Lebens beitrugen.

Der Ursprung des Lebens auf der Erde könnte sowohl einen kosmischen als auch einen irdischen Anteil gehabt haben: Organische Moleküle, die sich im Weltraum gebildet haben und von Meteoriten zur Erde getragen wurden, könnten organische Bausteine geliefert haben, die bei die Entstehung des eigentlichen Lebens, d. h. von sich selbst reproduzierenden Einheiten wie Protozellen, eine Rolle spielten. Solche Szenarien stellen eine interessante Alternative zu einem rein irdischen Szenario dar, bei dem die notwendigen organischen Chemikalien für die Entstehung von Lebensformen direkt auf der Erde entstanden. Vor einigen Jahren haben Astronomen der McMaster University in Kanada und des MPIA eine Berechnung für Szenarien vorgelegt, in denen diese Art von Molekül-Lieferungen aus dem Weltall warme, flache Teiche auf der Erde in geeignete Orte für die Entstehung von Leben verwandelt.


Eine neuartige chemische Reaktion kann erklären, wie auf den Eismänteln von kosmischen Staubkörnern Peptide entstehen können.

Publikation:


Krasnokutski, S.A., Chuang, KJ., Jäger, C. et al.
A pathway to peptides in space through the condensation of atomic carbon
Nat Astron (2022)

DOI: 10.1038/s41550-021-01577-9



Offen ist jedoch, wie komplex die kosmischen organischen Moleküle überhaupt werden können – und damit auch, welche Beiträge zum Ursprung des Lebens sie überhaupt hätten leisten können. Die hier vorgestellten neuen Ergebnisse zeigen, dass organische Moleküle aus dem Weltraum komplexer sein können als bisher gedacht. Sogar Peptide, die kürzeren Pendants zu Proteinen, könnten im Weltraum entstehen. Peptide spielen in lebenden Organismen eine Reihe wichtiger Rollen – und eine neu entdeckte chemische Reaktion zeigt, wie diese Moleküle in den Tiefen des Weltraums in großer Zahl entstehen können.

Eisbedeckte Staubkörner als kosmische Laboratorien

Thomas Henning, Mitautor der neuen Studie und Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie, sagt: "Es ist erstaunliche, dass komplexe organische Moleküle im Weltall existieren können – in Materiewolken zwischen den Sternen, in protoplanetaren Scheiben, primitiven Meteoriten und in Kometen. Solche Moleküle können durch eine Vielzahl von Prozessen gebildet werden: in Gasphasenreaktionen, auf vereisten Staubkornoberflächen oder in wässrigen Regionen auf denjenigen Körpern, von denen uns hier auf der Erde Bruchstücke in Form von Meteoriten erreichen."

Für die jetzt veröffentlichten neuen Forschungsergebnisse sind die eisigen Oberflächen von Staubkörnern wichtig. Solche Staubkörner entstehen beispielsweise in den äußeren Schichten kühler Sterne und in der Umgebung von Supernova-Explosionen. Neuere Forschungen zeigen aber, dass der meiste Staub in Galaxien direkt im interstellaren Medium gebildet wird – also in denjenigen Regionen in den riesigen Zwischenräumen zwischen den Sternen, die Materie geringer Dichte sowie Strahlung enthalten. Der Staub besteht aus Kohlenstoff- oder Siliziumatomen, die zu Konglomeraten von weniger als einem Millionstel Meter Durchmesser verklumpt sind. Lässt man Wasserstoff und Helium beiseite, dann besteht die restliche Materie in den riesigen Molekülwolken des interstellaren Mediums gut zur Hälfte aus Staub. Solche Molekülwolken sind der Ort, an dem neue Sterne geboren werden – und aus einem Teil des Staubs entstehen dann neue Planeten.

Der Schlüssel zur kosmischen Chemie der Staubkörner sind Eisschichten, die sich um die Staubkörner herum bilden. Dort können Wasser- und Kohlenmonoxidmoleküle, aber auch andere Moleküle auf der Oberfläche der Körner "hängenbleiben". Die Eisschichten werden so zum kosmischen Chemielabor. Dort können sich Moleküle ansammeln und einander nahe genug kommen, um chemische Reaktionen auszulösen.

Wie komplex können Weltraum-Moleküle werden?

Aber wie komplex können Moleküle unter Weltraumbedingungen überhaupt werden, auf der eisigen Oberfläche von Staubkörnern in riesigen Molekülwolken? Die Antwort auf diese Frage könnte für die Entstehung von Leben auf der Erde von Bedeutung sein. Daran entscheidet sich schließlich, was Meteoroide oder größere Körper überhaupt an kosmischen Molekülen auf die Erde tragen können.

Die neuen Ergebnisse, die jetzt in Nature Astronomy veröffentlicht wurden, zeigen: Moleküle, die sich auf eisigen Staubkornoberflächen bilden, können komplexer werden als bisher angenommen! Genauer gesagt: Unter realistischen Bedingungen können die Bedingungen auf solchen eisigen Oberflächen sogar zur Bildung von Peptiden führen. Peptide spielen eine wichtige Rolle in der Physiologie der Lebewesen auf der Erde. Sie sind die Kurzversionen der Proteine, und die wiederum spielen eine zentrale Rolle für Leben wie wir es kennen.

C-Atome

Der Erstautor der Studie, Serge Krasnokutski (Universität Jena und Forschungsgruppe Laborastrophysik des Max-Planck-Instituts für Astronomie) beschäftigt sich schon seit längerem mit der Rolle einzelner, ungebundener Kohlenstoffatome ("C-Atome") für die Chemie in Molekülwolken und in den Gas- und Staubscheiben um junge Sterne bei tiefsten Temperaturen.

Als Krasnokutski begann, sich für C-Atome zu interessieren, gab es noch nicht einmal eine geeignete Möglichkeit, solche Atome in die Experimente einzubeziehen, mit denen Prozesse auf interstellaren Staubkörnern simuliert werden. Also entwickelte er erst einmal eine Technik zur Erzeugung von C-Atomen mit niedriger Energie, die für Experimente bei niedrigen Temperaturen geeignet ist. Im Jahr 2014 wurde sein Verfahren patentiert; kurz danach wurde es kommerziell verfügbar und wird seitdem in einer Reihe von Labors weltweit eingesetzt.

Hü und Hott mit Wassermolekülen

Krasnokutski setzte seine Forschung an C-Atomen dann sowohl mit seiner neuen Technik experimentell fort als auch durch geeignete Berechnungen. Gemeinsam mit der Leiterin der MPIA-Laborastrophysikgruppe, Cornelia Jäger, und MPIA-Direktor Thomas Henning veröffentlichte er 2020 einen durch experimentelle Daten untermauerten Vorschlag, wie sich Glycin, die einfachste Aminosäure (die eine wichtige Rolle für alles Leben auf der Erde spielt), mit Hilfe solcher C-Atome auf kosmischen Staubkörnern bilden könnte – ohne dass ultraviolette Photonen als Energielieferanten für die fraglichen chemischen Reaktionen benötigt würden.

Mehr und mehr kam Krasnokutski zu der Überzeugung, dass C-Atome in der Tieftemperaturchemie unter Weltraumbedingungen eine Schlüsselrolle spielen. Er sagt: "Einzelne Kohlenstoffatome sind selbst bei niedrigsten Temperaturen erstaunlich reaktionsfreudig. Sie können als eine Art 'molekularer Klebstoff' dienen, der Moleküle miteinander verbindet und anorganische Substanzen in organische verwandelt."

Es lag nahe, den molekularbiologisch gesehen nächsten Schritt zu betrachten: Aminosäuren können kettenartige Moleküle bilden, nämlich Peptide (kürzere Ketten) oder Proteine (längere). Findet dieser Prozess in lebenden Organismen statt, muss er eine Hürde überwinden: Damit sich die Kette bilden kann ("Polymerisation"), müssen die Wassermoleküle von den Aminosäuren abgelöst werden. Das kostet Energie und erfordert daher eine bestimmte Mindesttemperatur, und die liegt deutlich höher als die Temperatur der kosmischen Eiskörner. Allerdings war das Problem bei der Bildung der Aminosäure Glycin bei niedrigen Temperaturen genau umgekehrt gewesen: Unter niedrigen Temperaturbedingungen auf einem kosmischen Staubkorn war es schwierig, Glycin zu bilden, da dies die Anlagerung eines Wassermoleküls erforderte.

Warum nicht ganz auf das Wasser verzichten?

Aber wenn sowohl das Anlagern eines Wassermoleküls zur Bildung einer Aminosäure und später das Entfernen des Wassermoleküls zur Bildung von Peptiden oder Proteinen problematisch ist, dachte sich Krasnokutski, warum dann überhaupt diesen Umweg nehmen? Da Kohlenstoff im All nicht nur in der gebundenen Form von Kohlenmonoxid, sondern eben auch in Form einzelner C-Atome vorliegt, gab es vielleicht einen direkteren Weg zu Peptiden (und damit auch zu den längeren Proteinen).

Mit Hilfe von quantenchemische Berechnungen konnte Krasnokutski zumindest eine wahrscheinliche Vorläuferverbindung für einen solchen direkten Weg identifizieren: Unter den Bedingungen, die auf kleinen Eisflächen herrschen, scheint die Reaktion, bei der Kohlenmonoxid, C-Atome und Ammoniak in Aminoketen umgewandelt werden (das entspricht der Aminosäure Glycin minus einem Wassermolekül) tatsächlich spontan abzulaufen und keinen zusätzlichen Energieaufwand zu erfordern.

Kosmische Staubkörner simulieren

Die Bildung von Aminoketen wiederum war ein vielversprechender Schritt hin zur Bildung der einfachsten Form von Peptiden, nämlich solchen, in deren Ketten Glycin eingebaut ist. Aber es gab keine Möglichkeit, einfach zu berechnen, was als Nächstes kommen würde und ob sich das Aminoketen tatsächlich in die für Peptide benötigten Polymerketten umwandeln würde. Hier waren Experimente gefragt.

Die Forscher verwendeten dafür eine High-Tech-Apparatur, welche die wichtigsten Eigenschaften einer eisigen Staubkornoberfläche im Weltraum reproduzieren kann: Das INter-Stellar Ice Dust Experiment (INSIDE), das einige Jahre zuvor in der MPIA-Laborastrophysik-Arbeitsgruppe an der Universität Jena unter der Leitung von Cornelia Jäger entwickelt worden war. Das Schlüsselelement des Aufbaus ist eine Ultrahochvakuumkammer, die künstlich einen Zustand ähnlich geringer Dichte erzeugen kann, wie er in Molekülwolken im interstellaren Medium herrscht.

Infrarot-spektrale Fingerabdrücke

In der für diese Experimente verwendeten Version wurde die Oberfläche der Staubkörner durch eine 2 mm dicke Kaliumbromidscheibe mit einem Durchmesser von 2,5 Zentimetern simuliert, deren Temperatur sehr genau reguliert werden kann, und zwar bis auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt. Auf dieser Oberfläche können sich Atome und Moleküle anlagern, und das unter recht ähnlichen Bedingungen wie man sie auf den Oberflächen kosmischer Staubkörner erwarten würde.

Mit Hilfe eines Infrarot-Spektrographen (FTIR), der die Probe mit Licht bestrahlt und diejenigen Anteile des Lichts analysiert, die auf der anderen Seite wieder herauskommen (also von der Probe weder absorbiert noch gestreut wurden), ist es möglich, bestimmte Moleküle oder Teile solcher Moleküle auf der Probenfläche anhand ihres "spektralen Fingerabdrucks" zu identifizieren – der Art und Weise, wie sie bei ganz bestimmten charakteristischen Wellenlängen Infrarotlicht absorbieren oder streuen.

Aminoketen herstellen und nachweisen

Konkret trugen die Forscher auf die Testoberfläche eine geringe Menge Kohlenmonoxid, C-Atome und Ammoniak auf ­– eine Schicht, die höchstens ein paar Dutzend Moleküle bzw. Atome dick war. Sie kühlten die Testoberfläche auf 10 Kelvin ab (entsprechend der typischen Temperatur im Inneren von Molekülwolken) und sammelten dann verschiedene Puzzleteile: Findet die Reaktion statt, wenn nur zwei der drei Zutaten vorhanden sind? (Nein.) Was zeigt die Infrarotspektroskopie? (Einen Fingerabdruck, der auf die Anwesenheit von Aminoketen hinweist.)

Außerdem beobachteten die Forscher sorgfältig, was mit ihrer Probe geschah, als sie sie langsam wieder auf Raumtemperatur erwärmten, und bestätigten durch Massenspektroskopie (eine sehr präzise Methode zur Bestimmung der Massen von Molekülen oder Atomen), dass der Rückstand tatsächlich die erwarteten Mengen von Molekülen mit genau der richtigen Masse enthielt. Offensichtlich entstand auf dem Staubkorn-Ersatz tatsächlich Aminoketen.

Peptid-Produktion ohne das Hin und Her mit dem Wasser

Die Erwärmung der Probe diente dabei einem weiteren wichtigen Zweck. Bei Temperaturen um die 110 Kelvin begann sich die auf dem künstlichen kosmischen Staubkorn abgelagerte Substanz zu verändern. Die Infrarotspektroskopie zeigte verräterische Anzeichen ("Peptidbanden" im Spektrum) für genau diejenige Art von chemischer Bindung, die Aminosäuren in den kürzeren Molekülketten ("Polymere") von Peptiden sowie in den längeren Ketten von Proteinen zusammenhält.

Für interstellare Staubkörner gibt es dabei mehrere Möglichkeiten, wie diese leichte Erwärmung zustande kommen könnte. Insbesondere wird eine Staubwolke aufgewärmt, wenn in einigem Abstand davon ein neuer Stern entsteht. Es ist aber auch möglich, dass die entsprechenden Reaktionen erst stattfinden, wenn das Staubkorn bereits auf eine Planetenoberfläche gefallen ist. Ein Planet in der so genannten habitablen Zone seines Sterns kann per Definition Oberflächentemperaturen aufweisen, die flüssiges Wasser ermöglichen. Zusammengenommen können die Niedrigtemperatur-Reaktionen, bei denen Aminoketen entsteht, und die Erwärmung, bei der sich die Aminoketen-Moleküle zu Peptiden verbinden, Peptide auf interstellaren Staubkörnern erzeugen.

Eine neue Reaktion

Alles zusammengenommen hatten Krasnokutski und seine Kollegen damit einen neuen chemischen Weg für die Bildung von Peptiden und Proteinen gefunden, der bis dahin nicht bekannt gewesen war. Entscheidend dabei war das Überspringen der Zwischenstufe der Bildung von Aminosäuren. Damit fällt dann nämlich auch der energieaufwändige Prozess des Wasserentzugs weg, der bei herkömmlichen Reaktionen nötig ist, um Aminosäuren zu Peptiden oder Proteinen zusammenzufügen. Die für die Reaktion benötigten Bestandteile (C-Atome, Kohlenmonoxid, Ammoniak) gehören zu den am häufigsten vorkommenden Molekülarten im interstellaren Raum. Da die Hürde des erhöhten Energiebedarfs wegfällt, könnte die alternative Art der Bildung von Peptiden und allgemeiner von Proteinen zu einer beträchtlichen Menge dieser Art von organischem Material im Weltraum führen.

Krasnokutski sagt: "Die einzelnen Kohlenstoffatome setzen eine reiche und vielfältige Chemie in Gang. Selbst unter den Bedingungen, die im Weltraum herrschen, geht diese Chemie viel weiter in Richtung dessen, was für die Entstehung von Leben notwendig ist, als bisher angenommen."

Die nächsten Schritte

Der neue Weg zur Peptidbildung bei niedrigen Temperaturen eröffnet eine Reihe von Möglichkeiten für die weitere Forschung. Vor einigen Jahren hatten Thomas Henning und Sergei Krasnokutski eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, chemische Reaktionen bei niedrigen Temperaturen in Tröpfchen von flüssigem Helium ablaufen zu lassen. Würde der Weg zur Peptidbildung in dieser Umgebung funktionieren, wäre eine genauere Analyse der einzelnen Reaktionsschritte möglich.

Außerdem sind Glycin-Peptide nur eine von vielen Peptidarten, die für das Leben auf der Erde wichtig sind. Die Reaktion, bei der sich die Aminoketen-Moleküle verbinden, um die Kettenstruktur des Peptids zu bilden, sollte jedoch recht flexibel sein: Sind andere Sorten von Molekülen vorhanden, wenn die Reaktion stattfindet, sollten sich auch andersartige Peptide bilden können. Auch das wollen Krasnokutski und seine Kolleginnen und Kollegen näher untersuchen.

Allgemeiner sind die neuen Ergebnisse Teil eines umfassenderen Forschungsprogramms am Max-Planck-Institut für Astronomie, das Astronomie, Chemie und Molekularbiologie auf der Suche nach interdisziplinären Antworten auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens auf der Erde miteinander verbindet. Zu den jüngsten Ergebnissen des Programms gehören beispielsweise auch Arbeiten von Oliver Trapp (LMU München und als Max-Planck-Fellow mit dem MPIA assoziiert), der eine andere Art der Bildung von Peptidbindungen als Schritt zum Ursprung des Lebens untersucht – in diesem Fall in einer Umgebung mit flüssigem Schwefeldioxid anstelle des klassischen Wassers.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für Astronomie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt


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